Alle da und mit Fragen am Start
Alle da und mit Fragen am Start



Vor mir, auf der anderen Seite des engen Tals schmiegen sich kleine Häuschen zwischen Bananenstauden und braunen Maisfeldern. Ich sitze in einem niedlichen kleinen Hostal, dessen Rückseite sich an den Berg presst, die nur nach vorne gehenden Fenster von Balkonen umschlossen. Die Hänge sind so steil dass in die Höhe gebaut wird, nicht in die Tiefe und wenn links und rechts auch noch Nachbarn eng zusammenrücken beherbergt ein Stockwerk jeweils einen Raum. Somit hat man schon in kleinem Häuschen oft viele Stufen zurückzulegen und man betritt viele Häuser vom oberen Stockwerk aus. Von der Strasse geht man gleich nach hinten durch auf die beschattete Rückseite und trippelt dann auf steilen Treppen in die unteren Stockwerke.
Es ist durchaus kein Vorurteil, Guatemala ist bergig und steil, aber nicht nur. Die Atlantikseite ist flach, heiss und wird deshalb von mir gemieden, auch wenn ich ein Stückchen davon fast ungewollt mitnahm, was aber eher einer sinnvollen Streckenführung als meinem Interesse unterlag. Mehr versuche ich durch die kühlen Berge zu fahren und schon mein erster langer Anstieg nach La Cumbre bringt mich auf etwa 1600hm und ich geniesse das kühle, feuchte Klima. La Cumbre bedeutet der Gipfel und so ist es auch bald vorbei mit der Abkühlung, da nach diesem Gipfel leider kein Hochplateau, sondern der unweigerliche Abstieg folgt. Erst einmal bleibe ich jedoch noch eine Nacht und freue mich an der kühlenden Luft auf meinem Hitze geplagten Beinen. Ich möchte unbedingt ohne zu schwitzen schlafen und schlage mein Zelt im Garten eines kaum genutzten Hotels auf. Das Verwalterpärchen, aus dem sonnenverbrannten Flachland um Petèn stammend, setzt sich abends noch mit seinem neugeborenen Säugling zu mir. Die für mich so herbeigesehnte Frische ist dür sie einfach nur bittere Kälte. Und auch sonst ist es eine schwierige Situation für sie, verdienen sie doch nur 60 Quetzal am Tag, was in etwa sieben Euro entspricht und auch in Guatemala nur für das Notwendigste reicht. Stehen Arztrechnungen, grössere Anschaffungen oder auch neugeborene Babys im Raum, wie bei der jungen Familie, wird es finanziell eng.
Am Morgen verabschiede ich mich und hüpfe mit kalten Füssen durch das feuchte Gras. Das erste Mal seit langer Zeit ist mir kalt und ich brauche eine Jacke während ich durch due Nebelwälder sause. Bei der Abfahrt lasse ich mir Zeit und mache lange Pausen. Es dauert nicht lange bis es wärmer wird und ich versuche noch jeden Lufthauch unter Saunatemperaturen auszunutzen. Kurz vor Tactic biege ich von der Hauptstrasse und die Landschaft ändert sich ins karge. Die Bremsen fressend steile, aber gut ausgebaute Strasse, windet sich durch kleine Dörfer in denen still das Leben vor sich hinplätschert. Die Städtchen sind einladend ruhig und sauber und ich kann mich kaum losreissen. So einige Male bleibe mit meinem Rad stehen, im Schatten eines Baumes, und schaue dem Treiben zu. Männer und Kinder tragen Bündel mit Holz auf ihrem Rücken, mit einem breiten Band über ihrer Stirn wird das schwere Feuerholz auf dem Rücken festgezurrt. Ihr Rückgrat ist gekrümmt und ihr Blick konzentriert in den Boden vor ihren Füssen verankert. Man sieht wie schwer sie tragen. Auch die Kinder. Vor den blendend weissen Kirchen sitzen Frauen in schweren langen Röcken und beäugen mich, hinter ihnen das Markttreiben mit kleinen Ständen die Notwendiges und Kleinigkeiten verkaufen, bis ich mich wieder aufraffe und in Schussfahrt weiersause.
Es riecht nach Kardamom und Staub. Bis ich den Geruch einordnen kann dauert es ein bisschen. Kardamom verband ich bisher mit Weihnachten oder arabischem Kaffee, jedoch nicht mit Mittelamerika. Ich schaue nach und finde heraus dass Guatemala eines der grössten Anbaugebiete weltweit für Kardamom ist. In der Sonne dünsten die Pflanzen ihre ätherischen Öle aus und ich fahre durch gewürzte Luft. Den scharfen, sauberen Geruch werde ich wohl ab jetzt mit meinen kurvenreichen Abfahrten in Guatemalas Bergen verbinden.
Zu schnell bin ich wieder im Flachland um den See Izabal der zu weit weg um darin zu baden glitzert. Hier werde ich wieder von Ameisen, Mücken und der ewig währenden Hitze geplagt. Auch die Nacht bringt keine Abkühlung und nach einem ordentlichen Frühstück aus Tamales, der in Bananenblätter gewickelten Maispaste überrascht mich die Hauptstrasse am nächsten Tag mit purem Schotter. Anfangs ist der Staub noch durch die Nachtfeuchte gebunden, je höher die Sonne steigt um so mehr trocknet der Boden ab und wird von den Lastwagen aufgewirbelt.Ich fahre durch die Staubwolken die so dicht sind, dass ich die Augen schliessen muss. Nur die vielen kleinen Flüsschen bewahren mich davor, völlig staubbraun durch die Gegend zu ziehen. Und die Erde fühlt sich mürb in meinen Haaren an. Auf meiner Haut bilden sich helle Schweissbäche in der dunklen Dreckschicht. Es ist so heiss und trocken, dass ich bei jedem Fluss nur kurz das Rad anlehne und so wie ich bin, mit allen Klamotten, im Wasser liege. Aus- und anziehen ist es der Mühe nicht wert, trockne ich doch eh gleich wieder.
Irgendwann, schon im Distrikt Livingstone bin ich wieder in der Karibik gelandet und das Meer ist nicht weit. Aber mich hat das Hochland gepackt und so bleibe ich nur für eine Pfannkuchenpause und einen Schlafplatz mit Waschmöglichkeit und biege bald wieder in Richtung Inland ab.
Wie meistens, ist meine grösste Mahlzeit mein Frühstück und ich habe Glück. Es finden sich Tuyuyus, gefüllte Tortillas mit Käse und Loroco, einem sehr würzigen Gemüse dass den langweiligen Teigfladen würze verleiht. Dazu gibt es eine selbstgemachte Tomatensosse und einen Plausch. Ich kringel mich ein bisschen, als der Herr des Hauses schon auf dem Motorrad sitzend, von seiner besseren Hälfte zurückgepfiffen wird. Er hat vergessen den Müll mitzunehmen. Ich grinse. Auf der ganzen Welt ist es das Gleiche.
Je weiter ich mich wieder von der Küste entferne, umso ruhiger wird es, auch wenn ich erst einmal kaum Höhenmeter mache. Erst als ich hart nach Westen abbiege treffe ich sofort auf beängstigend anstrengende Anstiege. Anhand der Landkarte hätte ich es mir fast denken können und bin trotzdem bestürzt auf so schlechte Strassen zu treffen. Nachdem ich einen letzten Fluss zum Waschen nutzen durfte, diesmal nur mit Erlaubnis der sehr skeptischen Dorfvorsteherin, ist es vorbei mit dem schneidigen Asphalt. Immerhin glaube ich auf die Dorfoberste gestossen zu sein, nachdem ich unter ihrem inquisitorischem Blick Rede und Antwort zu stehen hatte, bevor ich mich abmelden und im Fluss waschen durfte. Schon etwas überrascht über die Autorität der Dame und ihren sehr privaten Fragen zog ich davon, nicht ohne davor schon fast genötigt worden zu sein ihr einen Obolus, für was auch immer, zu überlassen. Zahlen wollte ich ihr nichts, wofür auch, hatte ich doch keinerlei Service von ihr in Anspruch genommen und so kramte ich ihr ein Heiligenbildchen das ich seit Nicaragua herumtrage, aus den tiefen meiner Tasche. Wohl immer noch nicht zufrieden, wies sie darauf hin wir könnten, da wir ja nun alle so nett beisammen sind Limonade trinken und ein paar Snacks wären auch angebracht. Mit dem ganzen Pulk an Kindern und Frauen, die sich mittlerweile um uns versammelt hatten, wäre mir die ganze Sache ordentlich teuer gekommen und einigermassen höflich ergriff ich die Flucht bevor ich das Dorffest auszurichten hatte. Wer weiss, vielleicht wäre ein neues Schulhaus auch nicht schlecht gewesen und ich als Sponsor gerne gesehen. Ich probierte es nicht aus, sondern strampelte recht eilig davon.
Kurz nach diesem letzten Aussenposten des guten Strassenbelags brach der schöne Asphalt abrupt in eine Material zermürbende Oberfläche ab. Staubig, steil und mit spitzen grossen Steinen überzogen, zu dicht um ausweichen zu können schiebe ich weite Strecken. Nur immer wieder kurz mute ich es meinem Rad und den Reifen, die schon ordentlich ramponiert sind, zu über den Weg zu rumpeln und ernte von vorbeifahrenden Motorradfahrern oder Jeeps mindestens ungläubiges Kopfschütteln und einige Lachen mich einfach offen aus. Eine gewisse Komik hat es tatsächlich, wie ich vollkommen verschwitzt mit verbissenem Gesicht das schwere Rad über Steine und kleine Felsen hieve und zerre. Ob das nicht anstrengend sei, werde ich gefragt oder ob man mich dafür bezahlt. Reine, leicht bescheuerte Abenteuerlust kommt als Erklärung nicht in Frage, so lächle ich nur. Es ist klar, für diese Nacht werde ich mir am Wegesrand etwas suchen müssen und kann dadurch wenig Komfort oder Ruhe erwarten. Die ganze Strasse entlang sind immer wieder kleine Häuschen zu finden, Mais und Kardamom wird an den Hängen angebaut und ganze Lastwägen voller Säcke mit der Ernte schaukeln an mir vorbei.
Ich habe also die Hoffnung einen Hof zu finden der mich und mein Zelt für eine Nacht aufnimmt und habe in einer der vielen Kehren Glück. Ein kleines Gehöft mit mehreren Häuschen und einem winzigen Laden lässt mich auf Gastfreundschaft hoffen. Die Familie lässt mich nach ein paar Erklärungen in ihrem Vorgarten zwischen Enten und Hühnern campieren. Zwar stehe ich direkt an der Strasse, habe aber im Schutz der Familie keine Bedenken.
In dem Gebiet wird noch viel Qu'iche gesprochen, eine der verbreiteten indigenen Sprachen. In sehr abgelegenen Gegenden wird teilwise ausschliesslich Qu'iche gesprochen, wodurch die Kommunikation sich ein bisschen schwierig gestaltet. Soweit klappt es
dann aber dass ich das Klo, mit bester Aussicht finde und die Jungs ausgiebig mein Fahrrad und mein Zelt bewundern können.
Mir war schon klar, einfach wird der restliche Aufstieg nicht, aber dass ich für 28km sieben Stunden brauchen würde, hätte ich nicht gedacht und meine Radlmotivation sackte kurzzeitig ein gutes Stück ab. Erst in Campur, dem nächsten Städtchen und für mich der Inbegriff der Zivilisation, mit gekühlten Getränken und sogar asphaltierter Strasse, kam ich wieder in Schwung. Nur die ewigen Tortillas, aus meiner Sicht geschmackslose Wischlappen, lassen mich manchmal aufseufzen. Es kam schon vor dass ich das Essen bei hoher Tortilla Dichte verweigerte. Und wer mich kennt, weiss, Essensverweigerung liegt mir keineswegs im Blut.
Campur war jedoch nur ein zu erreichendes Zwischenziel. Zehn Kilometer weiter und 1200hm tiefer liegt das Dörfchen Lanquìn, bekannt für seine nahegelegenen Höhlen und seine malerischen Flussbecken. Ich hatte also nur noch die weiten Kurven runterzubrausen und geniesse nun ein paar Tage in dem niedlichen kleinen Hostal.
Die in Fussweite gelegenen Höhlen sind auch durchaus beeindruckend und sollten durchaus besucht werden. Ganz alleine, kein Tourist um mich, durchstreifte ich die kuppelartige Höhle, die ein paar Euro Eintritt kostet. Die lohnen sich meiner Meinung nach durchaus. Weltentrückt durchstreift man einige hundert Meter lang den tropfenden Hohlraum, ein Fluss gurgelt tief unten und ich laufe klein und verschluckt nur ab und zu durch eine Fledermaus erschreckt durch das Berginnere. Es ist heiss, ich schwitze und alles ist schmierig von dem Fledermauskot. Eine Umgebung in der ich nur stiller Gast bin.
Morgen werde ich noch mit dem Bus die nahegelegenen Flussbecken besuchen. Und in diversen Hängematten ausruhen um.dann, hoffentlich ausreichend gestärkt wieder die runtergesausten Höhenmeter hoch zu strampeln um dann weiter das Land zu erkunden. Oder ich bleibe noch eine weitere Nacht. In meinem schönen Hostal mit Weitblick aus dem Fenster. In Guatemala leben die glücklichsten Menschen weltweit, heisst es und ich will es gerne glauben. Wenn ich wieder in einem winzigen Restaurant sitze, die ganze Familie sich leise unterhält, im Hintergrund wird klappernd der Abwasch gemacht, irgendwo pfeift jemand, dann ist auf jeden Fall kurz eine kleine Welt in Balance und ich darf dabei sein.

Kühles Hochland
Kühles Hochland
Kleinigkeiten am Wegesrand
Kleinigkeiten am Wegesrand
Artenreicher Nebelwald
Artenreicher Nebelwald
Das war noch die gute Strasse
Das war noch die gute Strasse
Hier wurde es schon anstrengender
Hier wurde es schon anstrengender
Frühstück. Und dann schüchternes um Fotos bitten von Seiten der Köchin
Frühstück. Und dann schüchternes um Fotos bitten von Seiten der Köchin
Rechts die skeptische Dorfvorsteherin
Rechts die skeptische Dorfvorsteherin
Zu Gast bei den Qu'iche
Zu Gast bei den Qu'iche
Die imposante Höhle
Die imposante Höhle
Die linke ist meine
Die linke ist meine