Irgendwo in Kolumbien
Irgendwo in Kolumbien

Ich sitze in einem viel zu teuren Hotel vor der ersten grossen Hürde, dem berüchtigten Darien Gap, bzw. Tapón de Darien. Der Isthmus Mittelamerikas liegt vor uns, einer der wichtigsten Stellen die wir auf unserer Reise zu überwinden haben. 

Erst vor drei Tagen sind wir in Medellin aufgebrochen, mit der Idee einige Tage alleine zu fahren. Unser Tempo hatte sich als so unterschiedlich rausgestellt, dass es uns sinnvoller erschien getrennt zu fahren und zu sehen ob und wie wir uns wieder treffen. Medellin, eingerahmt in steile Berge in denen auf 30km gerne 1000hm zusammen kommen bremste mich derart, dass ich einige Aufstiege kaum das Rad hochgeschoben bekam und alle paar Meter japsend und schwitzend über dem Lenker hing. Wir hatten uns beide für die östliche Route neben der viel befahrenen Hauptverkehrsader 62 entschieden die zwar weitaus mehr Höhenmeter, aber auch landschaftlich einiges zu bieten hatte, mich aber entsprechend langsam bergauf juckeln liess. Lukas, der weniger Gepäck hat und der stärkere Radfahrer ist, wartete an jeder Kurve. Es machte einfach keinen Sinn und beiden wenig Flow, weiter zusammen zu fahren und als Lukas Rücken hinter einer Kuppe verschwand, nicht wissend wann wir uns wiedertreffen schluckte ich ganz ordentlich. 

Die Route hingegen erwies sich als absoluter Glücksgriff. Sie schraubt sich in langen Serpentinen auf 2400hm und ist einer der von den vielen Rennradlern bevölkerten Strassen Medellins die sich jedes Wochenende mit bester Kondition und feinstem Material in Massen die steilen Berge der Umgebung hochkämpfen. Viele Grüßen, den Daumen hochgereckt, quatschen ein paar Worte und ziehen mit gespannten Wadeln locker an einem vorbei. Ich selbst wurde von einer Gruppe älterer Herrschaften, ungefähr dreimal so fit wie ich, zum Gipfel begleitet und mit allerlei Informationen gefüttert wie sich der Radrennsport in Kolumbien seit den 1920 er Jahren entwickelte und sich zu einem Wettbewerb der verschiedenen Gebiete Kolumbiens steigerte, stolz auf ihre Stärke und ihr Können, die mich tatsächlich tief beeindrucken. Und am Gipfel, neblig, kalt und zugig, treffe ich Lukas, grinsend, mit Kaffee, umringt von einem Trupp neugieriger Sportler. Überall sassen und standen Radler um  zwei Kaffeebuden mit kleinem Grill, und baten um Fotos von uns, stellten Fragen und ja, natürlich sonnten wir uns ein bisschen in der Aufmerksamkeit. Übrigens ist es keine Seltenheit, dass wir die Fotomotive sind. Touristen sind sehr selten und wir finden es immer noch lustig und nett die Rollen zu tauschen und nicht nur andere abzulichten.

Auf dem Gipfel war es zu kalt lange herumzustehen und ich hüpfte mit klammen Flipflop Füssen und schwang mich bald wieder aufs Rad.

 Zurück durch die Wolkenschicht kann man auf der fast 40km langen Abfahrt (jiahaa) schichtweise die Klamotten ablegen und fliegt mit gelöster Bremse durch tropische Bananen und Kaffeeanbaugebiete. Lukas und ich immer einer den anderen überholend, mit flatterndem Abfahrtsglück im Gesicht, und kaum Verkehr jagten durch die dünn besiedelten Steilhänge, nur belastet durch ein paar eklig aggressiven Hundebegegnungen. Und dann, ich erreichte die Stelle zuerst, ging es nicht weiter. "Peligro, no pase" steht auf gelbem Flatterband, davor die abgebrochene Strasse, ein schmaler aber braun reissender Fluss, ohne Weg, ohne Brücke stoppt mich. Uns wurde von einer Flussdurchquerung erzählt, in meiner Vorstellung sah der Fluss aber weitaus ruhiger und, schwer zu sagen wie genau, aber passierbarer aus. Der vor dem ich stand war keinesfalls durchquerbar, brach er sich, zwar schmal, aber reissend und schäumend seinen Weg  aus dem Hochland und hätte mit grosser Wahrscheinlichkeit das Rad mitgerissen.

Um irgendetwas, eine Furt oder eine Brücke zu finden,  schlappte ich, mit verkehrs- und regenwaldsicheren Flipflops einen schmalen Pfad den ich entdeckte in den matschigen Regenwald, fand eine Bambusbrücke, machbar, aber Adrenalin fördernd. Um ehrlich zu sein, mir gingen die Muffen. Solche Balancierakte sind einfach nicht meins. Lukas, der mittlerweile auch schon angerauscht war, kam mit erkunden, ganz aufgeregt vor lauter Abenteuerglück. 

Wir fanden ein kleines Anwesen mit bepflanztem Garten, einer freundlichen Besitzerin und eine handvoll Kinder und das Wichtigste, eine bessere Brücke aus immerhin vier Bambusstangen und eine kleinere Brücke über einen Nebenarm. Unser ganzer Kram musste über einen kleinen Abhang gezogen und rüberbalanciert werden. Es gelang, bei mir mit etwas Hilfe, recht gut und ich hüpfte ganz glücklich auf der anderen Seite. Trotzdem war es ein ganz schöner Kraftakt und der Schwatz mit der Dame des Hauses und die geschenkten Früchte überaus willkommen.

Vor mittlerweile drei Jahren, erzählte sie uns, wurde die Strasse bei einem Hochwasser weggerissen und seitdem besteht nur dieser kleine Übergang auf die andere Flussseite. 

Ab dem kurz darauf folgendem Dorf nahm ich die Hauptstrasse in das Valle de Cauca mit dem Städtchen Santa Fe de

Antioquia. Leider fuhr ich nicht in die Innenstadt, die, wie ich danach erfuhr mit gut erhaltenen herausgeputzten weissen Häuschen geschmückt ist, sondern nahm gleich den langen und heiss-trockenen Anstieg in die nächste Gebirgskette in Angriff. Durch meine orangeleuchtende ausgelegte Socke, konnte Lukas mich abends noch finden und bei mir im Zelt Zuflucht vor dem pünktlich abends einsetzenden Regen finden. Er bekam von mir  die zweite Socke, und somit wurde die sogenannte Signalsocke geboren, die ab jetzt genutzt wird um uns gegenseitig wieder zu finden.

Der nächste Tag war für mich ab mittags nicht gerade glorreich. Nachdem wir in eine Polizeikontrolle gerieten und brav Rede und Antwort standen, und ich schon den Pass rauskramen wollte, bis ich endlich merkte keineswegs kontrolliert zu werden, sondern nur mit echtem.Interessw ausgefragt wurde, dauerte es etwas. Die Jungs wollten noch ein Foto mit uns nicht mehr ganz blüten weissen Radtouristen und wir freuten uns nicht genervt zu werden, sondern grinsten lieber nett in die Kamera. Das passiert ja sonst eher selten, auf kostenfreie Erinnerungsfotos der Polizei zu gelangen.

 Kurz darauf hatte ich dann den dritten Platten auf der bisherigen Reise. Mit meinen Reifen habe ich schon immer Pech und allein schon deshalb ca. 40 Flicken dabei.

 Das Flicken dauerte länger als gedacht und in der Mittagshitze war es auch nicht das netteste und warf mich weit hinter Lukas, den ich an dem Tag auch nicht mehr traf. Kurz vor Dabeiba, einem trostlosen, ölverschmierten Städtchen mit zahlreichen Auto- und Motorradwerkstätten durfte ich auf Nachfrage mein Zelt im Garten eines kleinen Hofes mit Weitblick über die grünen Täler aufstellen und verbrachte eine entspannte erste Nacht allein.

Fahrradmässig hatte mich jedoch etwas das Pech in der Hand. Auf der nächsten Abfahrt waren die Bremsblöcke bis aufs Eisen runter und meine Hoffnung diese erst in Turbo, an der Küste, zu wechseln, war dahin. Da ich bisher nur Klötze mechanischer Scheibenbremsen gewechselt hatte, kam ich in den surrealen Genuss deutsche youtube Videos zum Fahrradschrauben in dem wenig einladenden Städtchen Dabeiba mit allem Gepäck und Werkzeug um mich herum ausgebreitet zu schauen, woraufhin die Reparatur erstaunlich unkompliziert lief. Weniger toll dabei war zu entdecken, dass mir bereits in Deutschland falsche Bremsbacken geliefert worden waren und ich in Medellin weitere falsche besorgt hatte. Vor Panama und eventuellen langen Abfahrten sollte ich das Problem

dringend lösen und hoffte darauf sie beim nächsten Aufenthalt in die richtige Grösse flexen lassen zu können. Ich hoffre auf die vielbesungenen südamerikanischen Improvisationskünste. Erstmal jedoch hatte ich relativ wenig Zeit verloren und es war denkbar Lukas noch irgendwo zufällig zu treffen, da er eher zum Langschläfer tendiert als ich.

Und tatsächlich, wie Hase und Igel, egal wo ich stehen blieb, alle hatten ihn gesehen und ihn vor einer Weile, gerade eben, oder vor ein paar Stunden, je nach Zeitempfinden, gesehen. Die Buschtrommeln funktionierten ausserordentlich gut. Ich hingegen verfluchte ein bisschem die letzten 30km in den Bergen, wusste ich doch voraus etwa 120km feinste Ebene. Meine Stärke liegt eher auf langen, flachen Strecken und ich freute mich aufs durchziehen. Kurz nach Mutatá und einem schnellen Snack konnte ich dann die letzten 120 km durchstarten. Ich liebe es durch die Fläche zu ziehen, mit der Kraft meiner Beine und die Landschaft zieht an mir vorbei. Altehrwürdige riesige Bäume, viele Flüsschen aber auch die Bananen und Ananasplantagen und sumpfigen Reisanbaugebiete die sich mit Maracuyafeldern abwechseln. Und nachdem ich noch eine Menge Staub geschluckt hatte, dreckig wie ein Strassenräuber, kam ich pünktlich zu Einbruch der Dunkelheit in Turbo an. Lukas hatte bereits ein Hotel ausgesucht und ich stolperte gleich stinkend und Dreck bröselnd in die noch saubere Lobby.

Turbo, die  Hafenstadt in der Karibik wird als laut, dreckig und kriminell beschrieben und ich gebe zu, auch unser Eindruck  ist nicht sonderlich gut. Wir passen ein bisschen genauer auf unser Hab und Gut auf und das Hotel tut zwar ganz fein, aber in dem beeindruckenden Gewitter das perfekt abgepasst, kurz nach meinem Eintreffen losdonnerte, regnete es dermassen in den Aufzug, wir wären pitschnass geworden, wären wir eingestiegen. Dann lieber zu Fuss in den vierten Stock. 

Zur Verteidigung der durch Guerilla und Schmuggel gebeutelten Stadt und den legalen Umschlagplatz vieler Güter wie Bananen und anderer Produkte, muss ich zugeben, je mehr man hinter den Vorhang von matschigen Nebenstrassen, Prostitution und hoffnungslosen gestrandeten schaut, umso mehr zeigt sich Turbo von seiner Guten Seite. Mit viel Sorgfalt wurden mir die Bremsbacken zurechtgeschliffen und ich habe die Hoffnung, dass sie tatsächlich passen. Und ich muss diese unwahrscheinlich gute Fischsuppe mit selbstgemachter Kokosmilch und Zitrone erwähnen und danach die Fleischbällchen mit Kokosreis. Und die Hilfsbereitschaft der Angestellten der Schiffsgesellschaft die uns Morgen zum letzten Dorf Kolumbiens bringen wird, soll auch nicht vergessen werden. Die Stadt wird dadurch nicht weniger kriminell und dreckig, aber sie hat uns trotzdem ihre menschliche Seite gezeigt. Morgen früh geht es nach Capurganà, dem letzten Aussenposten Kolumbiens. Eine Besonderheit, die ich erst im Laufe der Reisevorbereitungen erfuhr, ist die fehlende Strassenanbindung zwischen Kolumbien und Panama. Das schwer zugängliche Gebiet wird von der indigenen Gruppierung der Kuna bewohnt und teilweise noch von wieder aufschwelenden Guerillabewegungen kontrolliert die auch den Schmuggel in der Hand haben der sich nicht nur auf Drogen, sondern auch auf Schlepperaktivitäten von Flüchtlingen in  Richtung USA erstreckt. Entsprechend ist die Zone für Touristen nicht zu empfehlen und wird wie von vielen anderen auch von uns umschifft. Doch auch dazu sind die Informationen eher spärlich. Durch Mundpropaganda und ein bisschen hin und her und wahrscheinlich auch ein paar Tagen Aufenthalt in kleinen, abgeschiedenen Dörfern hoffen wir einigermassen unkompliziert in Panama einreisen zu können. Auf jeden Fall vermeiden wir unnötiges Risiko und sind gespannt auf die Karibik und einen neuen Reiseabschnitt.

Der kalte Gipfel
Der kalte Gipfel
Die Brücke
Die Brücke
Rutschig wars
Rutschig wars
Polizeikontrolle. Einmal unkompliziert.
Polizeikontrolle. Einmal unkompliziert.
Ein äusserst stattlicher Herr
Ein äusserst stattlicher Herr
Meine Bremsbacken werden gerichtet
Meine Bremsbacken werden gerichtet
Turbo
Turbo
Was für ein Essen!
Was für ein Essen!
Und zuletzt die fertigen Bremsbacken. Links Original, rechts hergerichtet.
Und zuletzt die fertigen Bremsbacken. Links Original, rechts hergerichtet.