Karg und weit
Karg und weit


Schon als ich in San Cristobal de las casas losfahre, ganz früh, es sind kaum Autos auf der Strasse, lässt mich der nicht einmal schwere Anstieg mit ausgepumpten Beinen zurück. Was ist nur mit meiner Kraft passiert? Zwei volle Tage hatte ich mich durch San Cristobal gegessen und am Abend noch die letzte heisse Schokolade getrunken. Die frischen Temperaturen taten mir gut, ich streifte durch die politisch sehr aktive Stadt und liess mich treiben. Ein zapatistisch-feministischer Buchladen findet sich neben einer kleinen Bäckerei mit Kaffee und um die Ecke ist der nächste Tacoladen mit Gemüsestand davor. Für mich ist es ein idealer Ruhepol gewesen und keine Stunde nach Aufbruch merke ich, doch nicht genug Rast gehabt zu haben. Sogar die folgende Abfahrt von fast 2000hm entspannt meine Muskeln nicht. Schon die Tage davor hatte ich mit Magenkrämpfen und Bauchschmerzen zu kämpfen. Ich dachte diese überwunden zu haben, jedoch je weiter ich Richtung Pazifik radle und desto heisser es wird umso mehr leide ich, später auch unter Kopfschmerzen. Die Kilometer ziehen sich. Obwohl die Landschaft durch leichte Hügel führt die immer karger wird, was ich liebe, läuft es nicht richtig. Meinen eigentlichen Plan über Oaxaca zu fahren und mir noch ein wenig Bergluft um die Nase wehen zu lassen gebe ich in letzter Minute auf. Die Abfahrt an einer Tankstelle die sirrend in der Hitze glüht, spendet mir kurz Schatten. Das kalte Getränk lege ich auf meinen Bauch um ihn zu beruhigen und konsultiere nach einmal die Karte. Oaxaca bedeutet mehrere Tage länger auf dem Rad zu sitzen, als die Route an der Küste entlang, die jedoch unentrinnbare Sonne bedeutet. Die Küste scheint mir dennoch leichter und eine bessere Versorgung zu bieten, also verwerfe ich die Berge zu Gunsten der Sicherheit.
Ich durchquere den Isthmus der sich zwischen San Pedro Tapanatepec und Juchitan befindet, von dem mir schon berichtet wurde. Durch die Landenge pfeift ein bei Radfahrern berüchtigter Wind, der Noreste, der mich netterweise die meiste Zeit anschiebt. Nur die Seitenböen sind teilweise so stark dass ich stehenbleibe um nicht in den Verkehr gedrückt zu werden. Zweispurig und ohne jede Kurve zieht sich flimmernd das Band der Strasse Richtung Osten. Ausgedehnte Windkraftanlagen nutzen die stetigen Winde und sind so schnell, dass man das rhythmische Flappen der Rotoren hört. Kaum Autos und nur ein paar LKWs donnerten an mir vorbei. So bin ich fast allein, sehe den Schweiss meine Beine bei jeder Pedalumdrehung herunterrinnen und im Dunst der Ferne die Bergkette die ich zu überqueren habe. Kakteen ragen aus der Masse des staubigen Grüns, und später erlauben die langgestreckten Hügel einen weiten Blick bis zum Meer das blau und diffus so nah scheint. Eine Landschaft die ich liebe, staubig und trocken. Und doch kann ich es viel zu wenig geniessen, habe ich doch noch immer mit meinem Magen zu kämpfen. Um dem noch ein bisschen Ruhe zu gönnen entscheide ich mich zu ein paar Strandtagen. Google maps spuckt ein kleines Dörfchen in der Nähe aus. Unterkünfte und Restaurants sind auf der Karte verzeichnet und die letzten Kilometer die ich auf dem ungeteerten Feldweg ins Dorf rolle, mittlerweile habe ich weder Wasser noch Lebensmittel, da auf viele Kilometer weder Läden noch Ausfahrten liegen, scheinen mir unendlich lang. Alle paar Radumdrehungen krampft mein Bauch, der mittlerweile absolut leer ist, was für das arme lädierte Organ auch nicht das beste sein kann. Ein Restaurant, egal wie ich stinke und schwitze. Zerst brauche ich etwas zu essen und zu trinken. Um jede Kurve vermute ich das gut strukturierte Dorf mit Hostals und Hängematten. Ich male mir aus an einem Tisch zu sitzen, eine leichte Brise streicht über meine Arme, auf jeden Fall habe ich Schatten. Am Glas mit kühler Limonade laufen die Kondenswassertropfen herunter und dann kommt schon der Kellner mit meinem Teller aus der Küche. Gleich muss ich da sein, am Hostal, am Restaurant. Bis ich es endlich verstehe. Ich stehe bereits in dem Dorf, hier, auf der staubigen Strasse auf der mir die Ziegen entgegenmeckern. Kein Mensch ist zu sehen nur links eine aufgelassene Saline und dahinter ein paar geduckte Häuser. Ich bin fassungslos, brauche ich doch so dringend eine Apotheke, gutes Essen, Ruhe und Sauberkeit. Nichts. Hier gibt es nichts, ausser zwei winzige Lädchen. Und an diesen Platz komme ich mit meinen letzten Reserven. Ich weiss erst mal nicht was ich tun soll und bleibe mitten auf dem Weg stehen. Das Schild das zum Restaurant zeigt ist verrostet und das Restaurant selbst eindeutig verschlossen. Hier gibt es nichts. Nur Sand und Kakerlaken. Es hilft nichts. Ich schnaufe durch. Hier Leben Menschen, und die müssen essen. Es muss also etwas zu finden sein. Weiterfahren ist keine Option, nicht bei den Abständen zwischen den Städten. Also muss ich etwas organisieren. Drei Frauen sitzen vor dem Lädchen, der mit selbstgemachtem Mezcal wirbt, stumpf vor Hitze und Fehlernährung und winken nur ab, als ich nach Unterkunft und Essen frage. Erst der Ladenbesitzer versteht worum es mir geht und bleibt für ewig mein Held, nachdem er mir einen Teller mit gebratenem Fisch und Reis zu einem angemessenen Preis organisiert und mir den Weg zu einer möglichen Unterkunft beschreibt. Als ich, einigermassen stabil, dort hinradl ist es eines der schönsten und verlassensten Fleckchen Strand die ich kenne. Gespickt mit einer bärbeissigen alten Hexe. Tatsächlich fuchtelt sie, eine halbe Stunde nach meiner Ankunft mit ihrem Besen als wir uns über die Rechte und Pflichten von Gästen streiten. Klopapier gibt es aus ihrer Sicht für Gäste nicht, dafür müssen diese selber sorgen. Ich bin der festen Überzeugung mir eine Rolle Klopapier auszuhändigen bevor es zu spät ist, ist für alle das Beste und durchaus angemessen. Das Klopapier bekomme ich, den Eimer um meine Wäsche einzuweichen nicht. Zähneknirschend lassen wir voneinander ab. Zwei Tage später, als ich mein Ende der Welt verlasse, sitzen wir beim Kaffee, den sie mir schenkt und erzählen uns unsere Lebensgeschichten. Die Wogen haben sich geglättet.
Der Strand scheint nicht immer so verlassen. Von Mai bis Oktober, so erzählt sie, ist alles voller internationaler Surfer und die Wellen ziehen Sportler aus der ganzen Welt an. Die architektonisch auffallend schönen Bungalows zeugen davon. Grosse Veranden und Dachterrassen zeigen aufs Meer, moderne Glasschiebetüren lassen viel Licht in die vollklimatisierten Räume. Entsprechend teuer sind die Traumhäuschen auch und ich bleibe natürlich im stickigen, aber günstigen Zelt. Kurioserweise ist Unterkunft und Verpflegung der Touristen nicht die einzige Einnahmequelle der Anwohner. Ausser den Salinen verdingen sie sich auch recht kreativ als "Surfguides". Diese "Guides" zu buchen ist jedoch keineswegs optional. Nutzt man nicht deren Service ist es leider auch nicht gegeben ein unbeschädigtes Auto auf dem Parkplatz vorzufinden oder nach dem Urlaub noch ein intaktes Board zu besitzen. Einen "Guide" zu buchen ist entsprechend verpflichtend, möchte man keine Probleme bekommen. Es hat sich also eine kleine aber feine Surfmafia etabliert, die ihr Geschäft durchaus versteht.

Der erste Radtag nach der Pause läuft schön. Es ist bedeckt, also nicht zu heiss und ohne viele Höhenmeter zieht sich die Strasse durch die abwechslungsreiche Landschaft. Ich trete endlich wieder ordentlich in die Pedale und es macht Spass. Auch mit dem Essen klappt es und ich gönne mir einen Teller gebratener Scampi die herrlich nach Knoblauch duften. Endlich richtig gutes Essen. Denke ich. Nachts entpuppen sich die Scampis jedoch als schwerer Fehler. In der Nacht schicken die mich einige Male panisch vor das Zelt und ich leide mal wieder an Bauchweh, diesmal noch mit schlimmen Durchfall. Der nächste Radltag ist entsprechend eine reine Quälerei. 120km und über 1000hm sind es bis zur nächsten Stadt die mir ausreichend Infrastruktur bietet. Es ist brüllend heiss und ich schiebe mich Kilometer für Kilometer vor. Essen kann ich kaum und trinke soviel wie möglich. Ich versuche gute Laune zu behalten und freue mich bewusst an jeder Kleinigkeit. Das kühle Kokosnusswasser, die vielen Schmetterlinge, alles dient auch dazu, mich wenigstens nicht übellaunig werden zu lassen. Trotzdem bin ich mehr als froh endlich in Puerto Escondido anzukommen, von dem ich ausreichend Infrastruktur erhoffe. Puerto Escondido ist das hiesige Surfermekka und ich habe schon Angst, auch hier alles zugesperrt, verlassen und leer vorzufinden. Anscheinend gibt es hier jedoch keine starken saisonalen Schwankungen und ich finde, vollkommen erleichtert, alles was ich brauche. In erster Linie ein Bett, Ruhe und eine grosse Auswahl an Essen. Trotz Bauchweh versuche ich möglichst ausgewogen und lecker zu essen. Ich habe das Gefühl ich werde noch einiges an Kraft brauchen bis Mexico Stadt.
Der Postkartenstrand ist zu Fuss zu erreichen und ich kann den Surfern zuschauen wie sie schwerelos über die Wellen gleiten. So viele schöne junge Körper sind selten an einem Platz versammelt und sie zeigen sich gern. Ihre Boards unterm Arm und die Bikinis der Mädchen so knapp wie es geht schlendern sie geschmeidig an mir vorbei. Alles hier lebt vom und für das Surfen. Schon am Ortseingang steht eine Statue mit einem Surfer und die hiesige Uniform sind Boardshorts und Flip Flops. Sogar die Roller haben an den Seiten eine Halterung in die man sein Board hängen kann. Es ist nett anzuschauen und schön nicht mitmachen zu müssen. Ich bin Zaungast mit meinem Fahrrad und laufe durch eine Kulisse, so unecht wie ein potemkisches Dorf.
Ich habe noch immer Bauchweh, aber Schatten und Pfannkuchen und Nudeln und wenig Bewegung tun mir besser als man glauben könnte. Ich schaue, esse und ruhe aus und hoffe ein bisschen wiederhergestellt von hier losfahren zu können. Langsam muss ich mich zusammenreissen, liegen doch noch mindestens acht harte Fahrradtage vor mir und es wird Zeit an meinen Rückflug zu denken. So muss ich spätestens übermorgen wieder los, das künstlich aber hübsch aufgeplusterte Puerto Escondido hinter mich lassend. Die körperliche Anstrengung in der Hitze und mit den vielen vor mir liegenden Höhenmetern erscheinen mir gerade, mit einem Magen, der definitiv nicht ausgeheilt sein wird, nichts erstrebenswertes. Ich hoffe einfach mit meinen Aufgaben zu wachsen und dann in Mexico Stadt noch ein paar Tage zu geniessen. Auch wenn ich ein wenig mit der Situation hadere sind auch die schlimmen Tage nicht ausreichend schlimm. Immer wieder finde ich Kleinigkeiten die mich am Laufen halten. Nachrichten von zu Hause über die ich mich freue, ein guter Schlafplatz oder eine Begegnung die mir gut tut. Immer wieder begegne ich Menschen die mir von sich aus etwas geben, etwas zu essen und heute, es ist fast nicht zu glauben, schenkte mir jemand, einfach so, überschüssige Kopfhörer, die mich endlich wieder auch auf der Fahrt mit Musik vorwätspushen. Dann bleibe ich verwundert zurück, beschenkt, und weiss nicht wie mir geschieht. Nur manchmal, da muss ich darauf achten meinen Blick auf die richtigen Dinge zu fokussieren, gibt es doch weit mehr um mich als meinen Bauch und meine Nabelschau.

Schlafplatz auf einer Hacienda
Schlafplatz auf einer Hacienda
Da hinten das Meer
Da hinten das Meer
Dorfrand im Nichts
Dorfrand im Nichts
Dorfmitte
Dorfmitte
Der Touristrand
Der Touristrand
Der Touristrand
Der Touristrand
Informationsaustausch und Kaffee
Informationsaustausch und Kaffee
Die bösen Scampi
Die bösen Scampi
Immer wieder schöne Wandbilder
Immer wieder schöne Wandbilder
Schon sehr hübsch
Schon sehr hübsch