Granada, die koloniale Perle
Granada, die koloniale Perle

Nach Panama und Costa Rica habe ich endlich das Gefühl in Mittelamerika angekommen zu sein. Bunte, chaotische Märkte mit wildem Gehupe und überbordenden Gemüse- und Obstauslagen hinter denen die Verkäufer laut ihre Waren anpreisen finden sich endlich wieder und ich tauche, für hiesige Verhältnisse gross und schwer, unter die Wellblechdächer um die richtige Papaya und besten Mangos auszusuchen. Nur die Öffnungszeiten erscheinen mir ungewöhnlich. Von etwa 8 Uhr bis mittags ist alles offen und auf den Beinen. Meine Taktik sehr früh unterwegs zu sein um allein die morgendlich leeren Strassen  zu erkunden funktioniert hier nicht. Nicaragua ist vor mir wach und meine Morgenruhe dadurch empfindlich durcheinander. Ab etwa 15 Uhr werden dafür die Gehsteige langsam hochgeklappt, die Stände aufgeräumt und geputzt und ab spätestens 19 Uhr hat fast alles zu. Natürlich ist es möglich, dass dies durch die Pandemie bedingt ist, obwohl in der Öffentlichkeit keine bestimmten Sicherheitsbedingungen einzuhalten sind, aber ich vermute Nicaragua ist einfach ein Land der Frühaufsteher.

 Und auch sonst überrascht es mich. Nach den fiesen Überholmanövern der costa ricanischen Autofahrer sind die Strassenverhältnisse hier wider meiner Erwartung beinahe traumhaft. Im Strassenbild zeigen sich nicht mehr nur schwere Pickups, sondern der Asphalt ist bevölkert von Pfedekutschen, Motorrädern, Motorrädern mit Pferd am Strick, Rädern, Eisverkäufern und auch LKWs und PKWs in jedem Verfallsstadium. Am Strassenrand finden sich wie immer Hühner und eine Rinderrasse mit lustigen Dackelohren, dazu kommen aber Schweinchen in rosa und braun mit schwarzen Punkten und Ziegen. Auch Pferde werden angepflockt und beweiden das sogenannte Strasenbegleitgrün. Als Fahrradreisender ist man also nur einer von vielen langsamen und behäbigen Gefährten und auf weiten Strecken ist sehr wenig Verkehr und menschliche Besiedlung rar, so dass es nicht auffällt wenn ich laut singend Berge runter sause. Nicaragua hat mich, wie man sicher merkt, voll gepackt, obwohl die Ungleichheiten und eine teilweise frappierende Armut mich manchmal hilflos zurücklässt. Die negativen Seiten des nicaraguanischen Alltags sind nicht zu übersehen und so sind arbeitende Kinder und eine grosse Anzahl an bettelnden Menschen, vor allem Senioren allgegenwärtig und Verwahrlosung in all seinen Facetten zu finden. Davon ist auch das wunderschöne koloniale Städtchen Granada nicht ausgeschlossen und dennoch ist dies nur eine Seite des kaleidoskopisch reichen Landes. 

Mit Lukas zusammen  erkundete ich  dann auch soviel wie möglich in Granada indem sich unzählige gut erhaltene Kolonialbauten finden. Spitzt man in die kühlen Innenhöfe zeigen sich mit gemusterten Kacheln geflieste Böden und mit hölzernen Säulen überdachte Sitzecken und auch der eine oder andere Brunnen plätschert kühlend vor sich hin. Am Eck vor unserem Hostal fand ich einen Frisör, der Boden schwarz weiss gekachelt und die rot weisse Einrichtung mindestens aus den 1960er Jahren und ich konnte nicht widerstehen mir in dieser Umgebung für vier Dollar meine ungeliebten Locken stutzen zu lassen, und mir den Nacken klassisch mit einem Rasiermesser ausrasieren zu lassen. Da hielt ich automatisch brav still und zappelt nicht um ja keine Unfälle zu provozieren.

Natürlich sind wir nicht die einzigen die diese koloniale Perle entdeckt haben und so ist eine durchaus angenehme touristische Infrastruktur in Granada zu finden. Kleine, oft liebevoll eingerichtete Hostals und Cafes oder Restaurants fügen sich recht gut ins Stadtbild, ohne zu dominat geworden zu sein und nahegelegene touristisch interessante Orte wie der Masaya Vulkan können ab Hostal geführt besichtigt werden. Ich jedoch nahm die öffentlichen Verkehrsmittel um den Vulkan zu besuchen. Dabei fühle ich mich in das Peru von vor 20 Jahren zurückversetzt. Kinder, Frauen, Arbeiter und ich werden in Minibussen übereinandergestapelt und das Erreichen des Ziels und der Fahrpreis wird während der Fahrt ausgehandelt. Die ungefähre Richtung in die man will, schreit man dem "Schaffner", also dem Jungen der sich bei voller Fahrt aus der Tür lehnt, ein Bündel flatternder Scheine zwischen die Finger geklemmt, entgegen. Dann wird man, ohne dass der Bus vollkommen stehen bleibt, reingezogen, irgendwo zwischen beschürzten Frauen und mit Bauhelm bewährten schwitzenden Männern platziert und ruft dem "Schaffnerjungen" sein genaues Ziel entgegen, woraufhin die Fahrstrecke entsprechend angepasst wird. Und egal durch was für wilde Gegenden man kommt, ohne Beleuchtung oder ungeteert, man darf entspannt im körperwarmen Innenraum die Augen schliessen und dösen und wird wohlbehalten und touristisch-vorsichtig mit echtem Anhalten dort abgesetzt wo man wollte.

 So genoss ich die Fahrt zum Masaya Vulkan, der mit Sicherheit zu den Highlights meiner Reise zählen wird. Er ist einer der sechs weltweiten Vulkane bei dem man die Lava mit blossem Auge sehen kann. Leider ist es nicht möglich auf eigene Faust den Vulkan zu besteigen, sondern muss 10 Dollar Eintritt zahlen und wird mit dem Nationalparkführern zum Kraterrand gebracht. Dafür bekommt man einige Informationen und auch das Erlebnis wird dadurch keinesfalls geschmälert. Sobald es dunkel wird, sieht man unter den ziehenden Rauchschwaden die blubbernde Lava und es bleibt das Gefühl nur auf der dünnen Apfelschale der Erde zu stehen. Es gehört zu den wenigen Erlebnissen, die eine Doku nur untermalen, aber nicht ersetzen kann. Auch die Umgebung ist durch die doch recht regelmässigen Ausbrüche geprägt. Der letzte Ausbruch erfolgte 2008 und keiner kann mit Sicherheit sagen wann und in welcher Stärke der nächste erfolgen wird. Leider erlebte der Masaya auch unrühmliche Zeiten. So faden nicht nur in vorkolonialer Zeit Menschenopfer statt, sondern auch zur Zeit der sandinistischen Diktatur der FSNL wurden Regimegegner per Helikopter über dem Krater in den den brodelnden Schlund geworfen und bis heute ist nicht klar wieviele Opfer der Diktatur im Masaya ihr Grab fanden. Dies ist nur ein Beispiel der Gräueltaten der FSNL. Umso mehr verwundert es mich die Partei noch immer an der Macht zu wissen und mehr als einmal fanden sich Gedenkstätten oder Fahnen der amtierenden Partei am Strassenrand. Mein Einblick in die Situation ist nach diesen paar Tagen in Nicaragua leider nur oberflächlich, und ich kann die politische Situation kaum.einschätzen obwohl ich gerne mehr über die Zusammenhänge wüsste. Nicht nur deshalb, auch weil ich tatsächlich dieses Land nicht so schnell verlassen möchte und mich der karge Vulkan so faszinierte, habe ich  Morgen eine weitere Vulkantour  in der Nähe von Leon gebucht. Diesmal besteigt man einen Teil des Cerro Negro zu Fuss um im Anschluss mit  dem Sandboard wieder runterzuheizen, wobei ich zugeben muss, dass mich die Landschaft und die Möglichkeit den armen Tourguide auszuquetschen, weit mehr interessieren, als das rumgerutsche auf dem Board. Das wird bei mir wahrscheinlich eher unkoordiniert panisch als anmutig und elegant und entsprechend bin ich eher dabei weil ich die kargeund dunkle Marslandschaft erleben möchte. Leon selbst, die nächstgelegene Stadt am Cerro Negro ist eine kleinere Stadt die ihren Charme aus den engen bunten Strassen und der riesigen weissen Kirche zieht. Sie ist als die heisseste Stadt Nicaraguas bekannt und tatsächlich empfand ich die letzten zwei Stunden Radfahrt während der Mittagszeit als brütende Hitze auf dem Asphalt, die mir den Atem und klare Gedanken nahm.

 Es sind noch etwa 100km bis zur Grenze nach Honduras und auf dieser Reise drücke ich mich das erste Mal davor die Linie zu einem neuen Land zu überschreiten, und das obwohl ich wahnsinnig gespannt auf Honduras bin. Ich habe das Gefühl in Nicaragua wartet noch viel mehr darauf entdeckt und verstanden zu werden von dem ich noch nichts weiss.



Endlich wieder andere Radler
Endlich wieder andere Radler
Wieder laut, eng und chaotisch. Endlich
Wieder laut, eng und chaotisch. Endlich
Verfall? Schöner Verfall?
Verfall? Schöner Verfall?
Das  auf dem Schild angebotene magische Getränk war leider aus
Das auf dem Schild angebotene magische Getränk war leider aus
Kühlkette braucht kein Mensch
Kühlkette braucht kein Mensch
Mitten im Nichts nach Kilometern ohne Autos dieser Essenstraum
Mitten im Nichts nach Kilometern ohne Autos dieser Essenstraum
Der Schlund zur Hölle. Man hörts brodeln.
Der Schlund zur Hölle. Man hörts brodeln.
Ein Wir-waren-hier Reisebekanntschaftsfoto
Ein Wir-waren-hier Reisebekanntschaftsfoto
So ein schöner Boden
So ein schöner Boden
Geprägt durch die Vulkanausbrüche
Geprägt durch die Vulkanausbrüche
Hat sich gelohnt
Hat sich gelohnt