Taunus BikePacking

Photo by Nils Laengner
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Photo by Nils Laengner
Photo by Nils Laengner

 

Das Taunus Bikepacking ist ein Radevent, bei dem es in erster Linie darum geht mit anderen eine gute Zeit auf dem Rad zu haben und weniger um eine Platzierung oder ein Rennen. Ankommen, und zwar möglichst im Ganzen ist schon ein ordentlicher Brocken.  Bei der Anmeldung vor ein paar Monaten war mir deshalb schon ganz flau im Magen. 1000km und 18.000 Höhenmeter in etwa 6 Tagen. Das gibt eine ordentliche Radlerei. Wahrscheinlich sind das lauter Cracks, die da mitfahren, überwiegend Männer, die sicher alles besser wissen und ich mit meinen Minimalkenntnissen mittendrin. Und ja, auch im Nachhinein: Das sind lauter Cracks, aber erstaunlich nette und hilfsbereite und lustige.

 

Ob das wirklich so eine gute Idee ist, anstatt weiterhin meinen eigenen Stiefel zu fahren, weiß ich immer noch nicht, als ich kurz vor dem Start auf dem Campingplatz stehe. Es summt und wuselt um mich herum, und das schon um sieben Uhr morgens. Es sieht so aus als sei nicht nur ich aufgeregt, jetzt, vor dem Start, in die Weiten des Taunus zu kommen. Wir alle packen ein und wieder aus, versuchen nichts zu vergessen, aber auch ja nicht zu viel mitzunehmen. Immerhin müssen wir jedes Gramm selbst die 18000 Höhenmeter hoch radeln. Irgendwo muss noch was festgezurrt und angezogen werden. Diskussionen ob 1,5 kg Riegel wirklich notwendig sind und wie der adäquate Schlafplatz gewählt wird oder ob durchfahren eine Option ist, werden mit heiligem Ernst geführt. Ich für meinen Teil bin für schlafen. Ohne zumindest  ein paar Stunden Schlaf bin ich kaum zu gebrauchen, genauso wie ohne Essen. Aber die Versorgungslage soll soweit passen, mit Tankstellen und Essensautomaten. Trotzdem bin ich natürlich aufgeregt. Es ist mein erstes Event bei dem ich mitfahre. Bisher habe ich mich morgens immer alleine auf den Sattel geschwungen, meist in der kühlen Morgenluft, wenn noch alles schläft und die Stille meine Sinne schärft. Hier aber reden alle, bewegen sich alle, laufen durcheinander und ich bin tatsächlich dazwischen. Noch fühle ich mich eher dazwischen als dabei. Je mehr Kilometer jedoch hinter mir liegen, desto mehr sind es „meine“ Leute die mich überholen, die im Schatten vor Tankstellen Eis essen oder denen ich im Wald begegne.

 

Die vorgegebene Strecke bereitet mir schon nach ein paar Kurven die ersten Probleme. Es klappt nicht ganz mit der Navigation und die nächsten zwei Tage bleibt es dabei. Ständig halte ich an und muss mich neu orientieren. Eine Zeitlang, fast einen Tag, fahre ich in einer kleinen Gruppe die sich gefunden hat. Aus meiner Sicht heizen die zwar halsbrecherisch durch die Wälder, während ich noch zögerlich hinterherzockel, aber es macht erstaunlich viel Spass, das Rumheizen, genauso wie das Quatschen, wobei Thomas und ich uns die Berge hochquasseln und Nina und Michael eher den ruhigeren Part übernehmen. Ich bin fasziniert, wie jeder seine Skills hat. Jeder und Jede bringt eine andere Stärke mit und ich, als eingefleischte Einzelgängerin, geniesse den Austausch und das Miteinander mehr als ich erwartet hatte. Die erste Nacht verbringen wir mit ein paar anderen, als bunte Würstchen in unseren Biwaksäcken um einen alten Römerturm drappiert. Viele Kilometer haben wir nicht hinter uns gebracht, zu hart sind die Aufstiege. Wirklich wichtig ist mir das zu dem Zeitpunkt nicht, nur dass ich früh loskomme und so bin ich die erste die leise die Isomatte zusammenrollt und noch wackelig im dunklen Wald verschwindet. Wieder auf mich alleine gestellt, wie gewohnt, bleibt mir nichts anderes übrig als mich noch einmal mit der Navigation zu befassen. Rumsuchen, rumklicken, überlegen, nachdenken, ausprobieren, so geht es ein paar Mal. Irgendwann funzt es endlich und ich fliege ein bisschen über die Felder, soweit die wirklich ansehnlichen Höhenmeter es zulassen. Irgendwann treffe ich auf Miriam, eine der sehr wenigen Frauen die gestartet ist. Wir fahren ein Stück zusammen, bis unsere unterschiedlichen Geschwindigkeiten uns wieder trennen. Es ist immer wieder nett auf andere zu treffen, unverbindlich ein paar Worte zu wechseln und dann zieht jeder auf seine Weise, mit seinem Tritt, weiter. Ich mag die Gespräche über Equipment, Schwierigkeiten die sich ergeben und Tipps und Tricks. Aber meist juckel ich alleine über die Hügel. Das Heu liegt aufgeschlaucht und duftend auf den Wiesen und die Kirschen sind reif. Ich bin eher langsam und stetig und manchmal mit dem trügerischen Gefühl auf dem Weg zum Baggersee zu sein unterwegs, hinten das Handtuch und unter der Radhose schon den Bikini. Dem ist natürlich nicht so und ein bisschen surreal ist das Gefühl schon, immerhin sind ja ein paar mehr Kilometer zu bewältigen als die fünf bis zum nächsten See.

 

Um die Mittagszeit, egal an welchem meiner fast sechs Tage die ich brauche, sehe ich kaum jemanden. Es ist heiss, meine Reifen scheinen am Boden zu kleben und ich komme kaum vorwärts. Wie ein Käfer in der Einöde einer ausgetrockneten Pfütze ziehe ich durch das Land. Ein Stück geht es am Rhein die Weinberge rauf. Immer wieder stehen Transporter am Strassenrand die die vermutlich rumänischen und polnischen Arbeiter auf die trockenen Hänge ausgespuckt haben um für uns unseren Wein zu bearbeiten und, obwohl in Deutschland, komme ich mir dekadent vor, aus purer Bewegungslust in der glühenden Sonne die Berge raufzuwackeln. Trotzdem macht es erstaunlich viel Spass. Die Aussicht ist weit und frei, immer wieder hüpft es in mir. Immer wieder, wenn wir im Pulk über Wiesen brettern, oder ich mich auf schmalen Pfaden ausprobiere, wenn die Gerste sich im Wind wiegt, oder in den unzähligen anderen Momenten. Trotzdem leide ich manchmal. So wie wohl jeder von uns seine Probleme hat. Ich verfluche die steilen Schotterpisten, die ich von leicht bis stark beunruhigt runterschleiche. Jedenfalls im Gegensatz zu den anderen. Trotzdem ich die Hosen einige Male voll habe, kommt es mir vor als werde ich Stück für Stück besser und ich fange an ein bisschen mutiger zu werden. Die Strecke ist wahnsinnig abwechslungsreich. Am liebsten mag ich schmale Pfade. Wusste ich davor auch nicht. Zu Hause fahre ich recht viel Asphalt. Kaum vorstellbar so wie ich hier die verkehrsfreien Wege schätze.

 

Man kann nur vermuten wieviel Arbeit in der Route steckt, die sinnvoll schöne Aussichten mit Versorgungsmöglichkeiten, Schutzhütten zum Übernachten und flowigen Trails verbindet. In interessanteren Städtchen werden wir durch die Gassen geführt und ich bin mir nicht ganz sicher, ob uns Jesko ein bisschen an der Leine hat und sich ins Fäustchen lacht, dass wir alle brav seinem Track  hinterhertappern. Insgesamt ist es eine aus meiner Sicht ideal organisierte Sache, nicht übersupported, aber mit genug Zuckerln, die auch die Motivation hochhalten. Und ich freue mich ab und zu auf Crewmitglieder oder einen der anderen Teilnehmer  zu treffen. Jesko und Nils schaffen es, durch unsere Tracker geleitet, immer wieder uns in Wald und Wiese aufzulauern, um das Event fotografisch zu begleiten. Bei mir ist das sicher nicht so leicht, denn sobald ich ein Objektiv sehe, merke ich wie mein Gesicht den panisches Eichhörnchen Ausdruck annimmt. Nils erleichtert mir das Spiel mit der Kamera jedoch ungemein, indem er mich einfach auf für mich schwierigen bis ausserordentlich schwierigen Terrain abpasst. Während ich mit allen Sinnen die ich habe, der Geschmackssinn hilft mir leider nicht viel weiter, aber man kann es ja mal probieren, versuche einigermassen durch die Wälder zu brechen, fotografiert Nils dabei noch. Ich muss das noch einmal klar ausdrücken: Der Mann fotografiert, während er über Pfade flowt, die ich vor einer Woche wahrscheinlich noch mit den Bremshebeln auf Anschlag runtergequietscht wäre. Und Spass hat es auch noch gemacht. Leider habe ich von unseren Gesprächen nur die Hälfte mitbekommen. Die Konzentration hat dafür nicht auch noch gereicht.

 

Bei 1000km und den dazugehörigen Höhenmetern kann jedoch nicht alles toll und nett sein. Man will ja auch an seine Grenzen gehen. Immerhin ich finde das immer wieder spannend auszutesten, wo diese überhaupt sind. Am meisten erstaunt hat mich mein eigener Ehrgeiz, der mich irgendwann gepackt hat. Befeuert von der dotwatchenden Familie zu Hause, die die Tour de France zwar extrem langweilig findet, hier aber tiefe Emotionen zeigt, macht es irgendwann richtig Spass ein paar Plätze wieder gutzumachen. Mein 80jähriger Vater hat sich in das Konzept dotwatchen reingefuchst, unterstützt von meiner Mutter, die immer genau weiss wer wann wo ist, inkl. Pausenzeiten und ähnlichem. Wer also eine genaue Auswertung seiner Daten wünscht, braucht bloß bei meinen Herrschaften anfragen. Geborene Stalker, die zwei. Unangemessene, aber sehr lustige Kommentare in Richtung Stützräder und Freizeitradler, kamen von Seiten meiner Schwester und meines Sohnes. Einige der anderen Teilnehmer kenne ich bis jetzt nur unter ihren Spitznamen, die ihnen von meiner Schwester gegeben wurden. Die gebe ich nur auf Anfrage frei. Sobald meine Moral zu sinken droht, muss ich nur im Familienchat gucken was es Neues gibt. Bei soviel Support kann man nicht aufgeben. Danke Familie!  

 

Die Temperaturen haben mit Sicherheit uns allen zugesetzt. Die Nächte sind noch recht kalt und zumindest ich habe ordentlich gefroren und bin morgens froh mich auf dem Rad warm fahren zu können. Oft ziehe ich an noch schlafenden Bikepackern vorbei, während die feuchte Morgenluft von den ersten Sonnenstrahlen vertrieben wird. Wie Pilze die aus den Boden ploppen, liegen sie müde und ausgelaugt in der Landschaft und ich versuche sie nicht mit meinem Freilauf zu wecken, während ich an ihnen vorbeirolle.  Viele habe ich im Ziel wieder getroffen. Es ist schon fast berauschend durch das Spalier, das die Jungs, die bereits gefinished haben, gebildet haben ins Ziel zu fahren und bejubelt zu werden. Jeder wird gefeiert und beklatscht, vollkommen unabhängig von der erreichten Platzierung. Hauptsache man ist angekommen und ich bade ein bisschen in dem Gefühl. Das Grinsen und die Verplantheit und die glücklichen, müden Knochen bleiben noch ein paar Tage. Und die Lust dass oder ein ähnliches Event zu fahren. Vielleicht nächstes Jahr.