Sonntag in La Ceiba
Sonntag in La Ceiba

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass ein Land an Vielschichtigkeit gewinnt, je mehr man davon kennt. Honduras ist in dem Fall nicht anders, nur die Art und Weise lässt mich sprachlos zurück, verstärkt durch die flirrende Hitze die mich ab mittags versengt, die Strassen leerfegt und mich gedankenlos macht. Nur noch Schweiss und Sinne kämpfe ich mich mehr über die Strassen, als Fahrrad zu fahren. Wasser wird schnell zum Problem und in den westlichen, sehr trockenen Gebieten ist nicht immer genug verfügbar. Auch das gekaufte Wasser ist teilweise für mich schwierig zu trinken, wenn es penetrant nach Waschmittel schmeckt. Ich schlucke es wie Medizin. So wie vieles hier. Priviligierung bekommt in Honduras eine andere Bedeutung, erst recht das Privilieg aus Deutschland zu sein. Das Land ist durch seine Misswirtschaft und Armut geprägt und ich sehe mich durch die staubige Landschaft fahren mit meiner guten Ausrüstung, dem teuren Rad und der Möglichkeit jederzeit in meine sichere, saubere Wohnung in Deutschland zurückzukehren, während ich an vollgemüllten Strassengräben vorbeiziehe. Bis in die privaten Gärten stapelt sich Plastikmüll. Oft schwelen angezündete Häufen vor sich hin und die öffentlichen Mülldeponien der Gemeinden ätzen ihre brennenden Abgase in die Luft. Umweltbewusstsein ist kaum vorhanden und wahrscheinlich ebenso ein Privileg der Bessergestellten. Es scheint als überschattet der tägliche Kampf ums Dasein viele langfristige Probleme, für die Zeit, Grld und Energie fehlen.
Zwischen dem Müll finden sich immer wieder aufgedunsene Tierkadaver, teilweise noch auf den Strassen verwesende Hunde, aufgebläht und schwarz. Keiner räumt sie weg. Warum auch, das Leben ist hart genug und es ist Teil der Normalität aller. Keiner mit dem ich sprach hat bisher den allgegenwärtigen Dreck und Gestank angesprochen. Die Latrinen in den Dörfern die ihre Ausdünstungen über die Häuser wabern lassen, sind so normal wie fliessend Wasser bei uns. Nur ich habe das Gefühl durch eine stinkende, vewesende Welt zu fahren. Und daneben immer wieder die Lichtblicke. Der Geruch der Guyaba trifft mich blumig süss. Er ist so intensiv, dass er sich bei mir verankert und ich den unscheinbaren Baum nur anhand seines Geruchs erkenne und er für mich zum Sinnbild des schönen Parts von Honduras wird. Denn, egal wie hart die Umstände sind, mein Eindruck von den Menschen ist fast durchwegs gut. Immer wieder werde ich zu kurzen Gesprächen angehalten. Manchmal auch mitten auf der Strasse. Kleine, nette Kommentare lenken meine Aufmerksamkeit wieder zurück zum Angenehmen. Und dennoch ist es etwas anderes distanzlos, ohne eine Scheibe oder eine andere Barriere, Kinder auf den rauchenden Müllkippen nach Brauchbaren suchen zu sehen, als die Bilder in Zeitungen oder Fernsehen vom Sofa aus anzusehen, was schlimm genug ist. Kinder, nur etwas grösser als ihre Macheten ziehen morgens mit den Männern aufs Feld. Ich schätze die Kleinsten auf etwa 6 Jahre, kann mich aber auch täuschen. Schulen sehe ich kaum, im Gegensatz zu den vorangegangenen Ländern. Analphabetismus ist noch immer ein grosses Problem. Wahrscheinlich frage nicht nur ich mich wie Honduras in einigen Jahren aussieht, wenn die Bildung nicht bald vorangetrieben wird. Die vorhandenen staatlichen Schulen, sind denkbar schlecht, wird mir erzählt und viele Kinder verlassen sie ohne das Nötigste gelernt zu haben schon vor dem beenden der Grundschule. Auch Erwachsene die ich kennenlernte haben starke Defizite und nutzen bei Kleinstbeträgen den Taschenrechner. Von Hand geschriebenen Schilder und Graffitis sind voller Schreibfehler. Das mangelhafte Bildungssystem dringt aus allen Poren. Dazu kommt die wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit und ein fehlendes staatliches Sozialsystem. Massenweise fliehen daher Hondurianer Richtung USA und es wundert mich nicht, dass das ganze Land gen Norden blickt Ganz offen wird über Schlepper und Wege über die Grenzflüssw gesprochen. Ich sehe viele Pick ups, mit Koffern und jungen Menschen beladen an mir vorbeifahren. Natürlich kann ich nicht mit Gewissheit sagen, ob dies Flüchtlinge sind, aber es macht den Anschein wenn ich die meist jungen Männern mit ihren kleinen Rollkoffern hinterherschaue. Ich verstehe gut warum man dieses Land verlassen möchte, wenn man nicht zur Elite gehört. Ohne Kenntnisse ist es jedoch sicher nicht leicht in den USA Fuss zu fassen und dennoch lese ich von einem Flüchtlingstreck von über 3000 Personen die über die Grenze möchten.
In der gleichen Zeitung, wird weichgespült von tanzenden Feierlichkeiten und Frauen in bunten und zu kurzen Kleidern kaum etwas von Belang geschrieben. Man kennt diese bildchen basierte Presse auch aus Deutschland. Nur in einem kleinen Artikel wird die Degenerierung durch Homosexualität, die angeblich die Familie zersetzt beschrieben. Ich bin, ganz naive Reisende, schockiert über das Ausmass der rückständigen Intoleranz und merke wie ich, ganz Touristin, immer nur an der Oberfläche kratze. So tiefsitzende Homophobie hatte keinen Platz mehr in meinem blasierten Weltbild. Reisen bekommt für mich, auch dadurch, einen anderen Charakter. Und dennoch sehe ich in dem alleinigen umherziehen durch fremde Landstriche nicht mehr genug Sinn um mich allein als Abenteurerin durchschlagen zu wollen. Man nimmt zuviel mit und lässt zu wenig da. Es fühlt sich unausgeglichen an. Ich möchte es nicht missen und es ist ein wichtiger Teil meines Lebens, dennoch freue ich mich darauf in Deutschland nicht nur auf meine Familie und Freunde, sondern auch wieder Dinge in die Hand zu nehmen und Projekte aufzugreifen, die ich bereits begann oder an neuen zu arbeiten. Etwas zu schaffen oder zu erweitern und das aufgenommene Wissen zu nutzen, sind immer wieder Themen die mir im Kopf rumoren während ich mich Berge hinaufkämpfe und im Fahrtwind wieder herunterschiesse.
Honduras, seine Menschen und Strassen werden sicher einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Gastfreundschaft die mir entgegengebracht wurde ist häufig nicht nur einfach schön, sondern tatsächlich wichtig für mich und manchmal auch ein bisschen sicherheitsrelevant für mich. Vor einer doch etwas unangenehmen Stadt nimmt mich ein altes Ehepaar bei sich auf und neugierig, wer da in seinem Garten das Zelt aufstellt, holt sich der Hausherr einen Stuhl und erzählt. Von früher und der Umgebung berichtet er, aber nicht ohne vorher zusammen mit seiner Frau meine Ausrüstung und überhaupt mein Zelt genau begutachtet zu haben. Ich sitze auf meiner Isomatte vor ihm, gekochte Banane mit Käse auf den Knien balancierend, dazu steinerweichend starken Kaffee kurz vorm schlafen gehen in der Tasse, und höre zu. Die Standard Fruit Company, heute Dole und von jeher die Konkurrenz zu der United fruit Company, liess um 1930 die ganzen Pinien der Gegend um Yoro und Santa Rita fällen um Bananen zu pflanzen. Schon zu der Zeit etablierte sich die Firma auch politisch und wurde zu einer parallel gesellschaftlichen Institution mit eigenen Regeln und Gesetzen. Sie baute eine Eisenbahnlinie von Tela, einer Hafenstadt, nach Santa Rita um ihre Bananen zu verschiffen. 1945, nachdem die Arbeiter müde waren von wenigen Lempiras am Tag mehr zu überleben als zu Leben, so erzählt mir mein Gastgeber, setzten grosse Streiks ein. Nachdem diese nicht zerschlagen werden konnten gab die Firma nach zähen Verhandlungen ihre Pflanzungen auf. Zurück blieb eine Monokultur und eine korrupte Regierung. Eine fatale Kombination, die in Folge dazu führte, dass die meisten Pflanzungen aufgegeben wurden, die vorhandene Infrastruktur zerfiel und Arbeitslosigkeit um sich griff. Ich fuhr an einigen Stellen über Gleise, offensichtlich unbenutzt und nur um Olanchito fand sich eine noch grosse Bananenplantage von Dole. Ein Schild wies darauf hin, dass hier per Flugzeug Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden und man sich bitte schützen solle. Ein paar Kilometer darauf verkaufen Kinder grosse Säcke Bananen am Wegesrand, anstatt in der Schule zu sitzen.
Auch mein Gastgeber hatte nicht viel Gutes über Dole zu sagen, blieb doch auch er ohne Arbeit zurück und heute, klapprig dünn, leben er und seine Frau von ein paar Hühnern und Schafen. Eine Rente gibt es nicht.
Es erscheint mir nicht verwunderlich, höre ich von den ganzen Missständen, eine ganz ordentliche Kriminalitätsrate in Honduras vorzufinden. Aber entgegen meiner Erwartungen und auch des Bildes mit seinem Dreck, Gestank und der Verwahrlosung, werde ich weder gewarnt vor Diebstählen und Überfällen, noch sind bisher übermässig viele unangenehme Situationen vorgekommen. Mit Sicherheit hatte ich auch Glück. Andererseits sollte ich aufpassen und Armut nicht mit Unehrlichkeit gleichsetzen.
Ein paar Tage bleibe ich noch in Honduras, bald wieder in kühleren bergigen Gegenden und lasse mir noch ein bisschen von diesem Land erzählen.

Die Suche nach trinkbarem Wasser gehört in manchen Gegenden zu meinen täglichen Aufgaben
Die Suche nach trinkbarem Wasser gehört in manchen Gegenden zu meinen täglichen Aufgaben
Meine Gastgeber nach der Zeltinspektion. Man beachte, dass die Dame bereits um einiges erhöht steht.
Meine Gastgeber nach der Zeltinspektion. Man beachte, dass die Dame bereits um einiges erhöht steht.
Kinder auf der Müllkippe. Teil des Lebens hier.
Kinder auf der Müllkippe. Teil des Lebens hier.
Manche Städte bestechen mehr durch Trostlosigkeit als durch Schönheit.
Manche Städte bestechen mehr durch Trostlosigkeit als durch Schönheit.
Wasser besorgen ist für alle eine tägliche Aufgabe
Wasser besorgen ist für alle eine tägliche Aufgabe
Im Hinterland sind die Wege zwar härter zu radeln, aber es ist auch beschaulicher.
Im Hinterland sind die Wege zwar härter zu radeln, aber es ist auch beschaulicher.
Und dahinter die Dole Bananenplantage.
Und dahinter die Dole Bananenplantage.
Radkollegen. Schön zwischendrin
Radkollegen. Schön zwischendrin
Der Caballero auf dem Weg zum Einkaufen.
Der Caballero auf dem Weg zum Einkaufen.
La Ceiba am Sonntag. Ansonsten ist hier Markt
La Ceiba am Sonntag. Ansonsten ist hier Markt
Neue Bremsbacken und abschmieren fürs Fräulein, eigentlich Fräulein Tu, der Name meines Rads. Möge es noch lange halten.
Neue Bremsbacken und abschmieren fürs Fräulein, eigentlich Fräulein Tu, der Name meines Rads. Möge es noch lange halten.
Ein wunderschöner und ruhiger Zeltplatz.
Ein wunderschöner und ruhiger Zeltplatz.