Eigene Regeln
Eigene Regeln


Comitàn war die erste grössere Stadt die in Mexico auf meinem Weg lag. In den Bergen von Chiapas gelegen hat sie ein ideales Klima. Nachts ist es kühl und im Laufe des Tages wärmt die Höhensonne die geduckten Häuschen. In der Altstadt sind viele weiss gestrichen nur die Faschen und Dächer sind ochsenblutrot. Es scheint alles geputzt und geschrubbt, es riecht nach Kaffee und Brot. Ich mag die Stadt die ruhig auf ihren Hügeln klebt und nachdem ich mich zwei Tage ausgeruht habe, den Fahrradladen aufgesucht habe um endlich einen Ersatzreifen zu bekommen und ausreichend leckeren Kaffee getrunken habe, fahre ich mit leichtem Abschiedsschmerz und begleitet von morgendlichen vogelgezwitscher Richtung Palenque. Mir fällt auf, dass ich in niedriger gelegenen Regionen kaum gezwitscher höre. Die Vögel dort machen eher lautere und differenzierte Einzelgeräusche, sie gurren, kreischen, trillern, aber der zwitschernde Klangteppich, den finde ich nur in den Höhenlagen.
Gleich nach Comitàn komme ich in eine Pinien bestandene Hochebene. Es riecht nach Harz und der Himmel ist weit und blau und ich, ich bin mittendrin. Obwohl kaum Verkehr ist, ist die Strasse sehr gut und ich fliege durch die Landschaft. Ich weiss, Chiapas ist bekannt für seinen Kaffee und die Zapatistas, eine Rebellengruppe die sich in den 1980er Jahren um Marcos Zapato gebildet hat. Sie setzen sich stark für ihre Unabhängigkeit und Chancengleichheit ein. Die Bewegung ist eng mit dem indigenen Leben verbunden. Der Boden soll geschützt werden, es werden Gemeinschaftsarbeiten und Zentren wie Kaffeeplantagen oder Gewächshäuser zusammen erstellt und bearbeitet. Ziel ist es, möglichst unabhängig von der korrupten Regierung aber auch übermächtigen Firmen zu werden. Die Produkte wie Kaffee und Kakao sollen zu fairen Preisen und Bedingungen erstellt und verkauft werden. In Teilen ist die Region vollkommen autonom. Auch Schulen und Ämter unterstehen nicht mehr den mexikanischen Autoritäten. Es ist hilfreich darüber informiert zu sein, besucht man die Gegend. An den Ortseingängen befinden sich häufig Schilder die interne Regelungen enthalten. So dürfen viele Dörfer, ausser der Hauptstrasse, nicht mit fremden Fahrzeugen besucht werden und auch fahrende Händler sind nicht willkommen. Die Stimmung ist still, jeder geht seiner Arbeit nach. Es gibt kein Hupen und keine wummernden Bässe. Und trotzdem ist der Zapatismus kein rückgewandtes System, sind sie doch in der ganzen Welt vernetzt und reisen bis nach Spanien um Zusammenkünfte abzuhalten und sich mit anderen Organisationen wie dem deutschen "Attac" auszutauschen.
Doch auch diese kleine Revolution lief nicht immer friedlich ab. Bis in die 2000er Jahre hinein gab es mit dem mexikanischen Militär auch gewaltsame Ausschreitungen. Grundsätzlich ist der Zapatismus jedoch eher eine Organisationsform der eigenen Umwelt, als eine politische Bewegung, was sie für viele, auch in Deutschland, so attraktiv macht. Der Grundgedanke ist friedlich und die beständig bewaffnete Guerilla sehr klein. Daher auch die Bezeichnung Bauernrevolution, da die meisten Aktivisten ihrer täglichen Arbeit auf Feldern und Werkstätten nachgehen, im Bedarfsfall jedoch einsatzfähig sind. Tatsächlich fühle auch ich mich von den Ideen angezogen, überhaupt als ich die Umsetzung sehe. Die friedlichen Dörfer, hübsch und mit freundlichen Menschen die mir im vorbeifahren zuwinken, erscheinen um sovieles lebenswerter als vermüllte, chaotische Strassen. Dennoch finde ich nicht alles verständlich.So wird auf Schildern etwa Strom.gefordert ohne dafür Zahlungen zu leisten. Mir scheint das auf den ersten Blick wenig realitätsnah, verursacht die Bereitstellung doch enorme Kosten.

Vor Altamirano staut sich dann unvorhergesehen der wenige Verkehr. Als Radlerin kann ich entspannt an der Autoschlange vorbei lavieren. Schon aus einiger Entfernung kann ich eine zivile Strassensperre ausmachen. Zwischen zwei LKWs wurde eine Kette gepannt um zum Anhalten zu zwingen und Fahrzeuge werden nur einzeln und nach langer Wartezeit duchgewunken. Aber auch hier ist es entspannt und ruhig, nur die Autofahrer wollen nicht recht erzählen, warum die Blockade eingerichtet wurde. Ich rolle langsam zu der Kette, lächle und werde ebenso lächelnd durchgewunken. Mein Fahrrad und ich sind offensichtlich unproblematisch. Auf dem folgenden Kreisverkehr sind einige Essensstände aufgebaut. Reis wird angebraten und überall blubberts und riecht es aus den Töpfen auf den Holzfeuern. Ich habe Hunger, aber als ich etwas kaufen will, wird abgewunken. Es ist für die Arbeiter so sagen die Frauen, für die "trabajadores" und jetzt erst verstehe ich dass ich an der Versorgungsstation für die Rebellen stehe. Als ich das Handy raushole, brausen die stillen Stimmen kurz auf und ich lasse es schnell wieder in der Tasche verschwinden. Weder möchte ich Ärger, noch ein falsches Bild abgeben, bin ich doch nicht hier um Probleme zu bereiten.
Am Ortsausgang komme ich in die zweite Blockade. Hier lasse ich das Handy ganz automatisch versteckt. Einige vermummte, mit Gesichtsmasken und schwarzer Kleidung kontrollieren die Kofferräume. Manche haben Macheten in der Hand. Ich rolle langsam vor. Der Asphalt ist voll verkohlter Reifenteile und Holzstücke. Es riecht verbrannt. Die Zapatisten winken nervös die Fahrer aus ihren Autos. Kaum jemand spricht, alles wird mit lautstarken Gesten, angedeutet. Gehorsam steigen die Wsrtenden aus ihren Autos, niermand begehrt auf oder beschwert sicj. Es ist ernst. Ich jedoch werde ignoriert und fahre ganz langsam einfach durch die Blockade ohne auch nur beachtet zu werden. Danach erfahre ich, ein zapatistischer Bürgermeister kam ins Gefängnis, woraufhin die Zapatisten wieder in Aktion traten. Es ist bekannt, auf vielen Mauern sehe ich entsprechende Graffitis, dass noch viele politische Gefangene in mexikanischen Gefängnissen sitzen. Auch die Zustände in den Gefängnissen kennt fast jeder, zumindest vom hören sagen. Genauere Hintergründe erfahre ich jedoch nicht.
Ich fahre weiter, mit dem Zwischenziel Agua Azul. Die bekannten Wasserfälle möchte ich noch anschauen bevor ich nach Palenque komme, werde davor aber nochmals aufgehalten. Diesmal ist es die Polizei. Das von den Rebellen kontrollierte Gebiet liegt anscheinend hinter mir. Die Polizisten sind zwar freundlich, aber auch etwas umständlich. Sie nehmen meine Daten, fragen mich aus nach meinem woher und wohin, und halten sogar mein Rad damit ich in Ruhe nach meinem Pass kruschteln kann. Zu guter letzt eskortieren sie mich in überbordender Sorgfalt bis zur Abfahrt nach Agua Azul. Sie scheinen sich einfach nur Sorgen zu machen, was mir wiederum Sorgen bereitet. Davor fuhr ich ganz unaufgeregt durch die Landschaft, jetzt frage ich mich ob ich tatsächlich Begleitschutz brauche.
Die Abfahrt nach Agua Azul ist ein reiner Genuss. In der brütenden Mittagshitze ist der Fahrtwind eine willkommene Abkühlung und den Weitblick über die grünen Hügel, der lässt mich eh breit grinsen.
Gute 400hm geht es runter und ich weiss, die muss ich dann auch bald wieder hoch. Agua Azul selber ist leider eine richtige Enttäuschung. Der Wasserfall ist zwar hübsch, die touristische Vermarktung mit billigen Souvenirs und Essenständen steht jedoch in keinem Verhältnis zu der doch recht
übersichtlichen Sehenswürdigkeit.
Ich bleibe also nicht lange, quäle mich den Berg wieder hoch und komme abends zu einer schönen kleinen Ranch bei der ich übernachte um am nächsten Tag Palenque zu erreichen.
Palenque ist bekannt für seine Mayaruinen, tatsächlich habe ich aber einfach keine Lust mehr auf touristische Sehenswürdigkeiten und lasse mich einfach ein bisschen durch meinen Pausentag treiben, esse hier und dort eine Kleinigkeit, lese viel und dann geht es auch weiter für mich. So ein ganz ruhiger Tag ist auch mal angenehm, liegt doch eine recht harte Strecke vor mir. Die ersten 170km sind fast nur eben, die Strasse ist breit und die LKWs, die hier häufig gleich zwei riesige Anhänger haben, halten genug Abstand um wirklich entspannt fahren zu können. Trotzdem bin ich froh, als mich meine Route endlich auf eine Nebenstrasse führt. Ein PKW hält neben mir und eine lachende Frau streckt mir eine riesige Avocado entgegen. Zur Wegzehrung, meint sie und ist schon wieder weg. Die Tage kommt es öfter vor, dass mir Autofahrer Obst oder Getränke schenken, einer wedelt mir sogar einen Geldschein entgegen, den ich aber ablehne. Wasser wäre wichtiger. Aber auch so einige Geschichten klaube ich am Wegesrand mit auf. Eine bleibt mir besonders in Erinnerung und ich hinterfrage nicht einmal den Wahrheitsgehalt. Es reicht mir, die Sorgen die dahinter stehen zu erfahren und ein bisschen mehr zu verstehen. Eigentlich will ich nur in Ruhe meine klebrige, aber kalte Cola in Ruhe trinken, als sich die ältere Dame vor mich setzt und erzählt. Von ihren Söhnen, die vor 20 Jahren in die USA emmigrierten. Schlepper, hier Coyoten genannt, beraubten die Jungs und liessen sie in der Wüste Mexicos zurück. Sechs Wochen liefen sie, ohne zu wissen wohin, durch die Einöde. Um nicht zu verdursten, leckten sie den Tau von den Zaunpfosten und nachts, wenn es unter ihren Füssen knirschte, wussten sie, sie liefen über menschliche Knochen. Über die Knochen anderer Geflohener, die es nicht geschafft hatten. Sie versuchten nicht zu denken, während sie sich durch die Dunkelheit tasteten. Es ist zwanzig Jahre her, seitdem die Dame den erlösenden Telefonanruf erhielt und die Stimmen ihrer Söhne hörte, die ihr berichteten in Sicherheit zu sein. Noch immer rinnen ihre Tränen wenn sie ihre Geschichte erzählt. Ich nehme die Tränen mit, als ich weiterfahre.
Die Strecke wartet mit 5400hm auf 160km auf und ich habe ordentlich zu tun. Es ist wirklich anstrengend, aber auch einer der schönsten Gebiete die ich auf der Reise durchradl. Langsam schraube ich mich immer höher und frühstücke schon in frischer Gebirgsluft. Kaffee und ein selbstgemachtes Tamal, ein in Bananenblättern gegarter Maisbrei, werden mir von drei Schreinern angeboten und ich nehme dankend an. Zwei Tage bin ich in den Bergen von Chiapas und obwohl sie nicht mit grösseren Ereignissen aufwarten als einem Bad im hüpfenden, türkisen Gebirgsbach und Pausen mit betörendem Weitblick, gehört Chiapas für mich zu den bisher besten Strecken. Nur die letzte Nacht war nicht gerade angenehm. Zuerst war es schwieriger als gedacht einen ordrntlichen Schlafplatz zu finden, der dann leider doch nicht so toll war, wurde ich in der Nacht doch mal wieder von einer Unmenge an Amrisen überfallen. Alles war voll und sie bissen und ich fluchte. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Mir blieb also kaum was anderes als um drei Uhr morgens aufs Rad zu steigen. Belohnt wurde ich mit einem Donnenaufgang über nebelverhangene Kaffee bewachsene Berge.
Bevor ich nach San Cristobal de las casas einläufe, besuche ich noch das bekannte Dorf San Juan de Chamula und bin enttäuscht. Beschrieben wurde es mir als hübsches, sehr traditionelles Dörfchen, vorgefunden habe ich eine Souvenirladenmeile mit hübscher Kirche und zu vielen Touristen. Ich bleibe nicht lange und kurze Zeit später stehe ich schon in der Küche des Hostals und koche seit langem mal wieder. Nudeln mit Gemüse. Morgens ist es hier schon fast kalt und ich verbringe ausnahmsweise ein bisschen länger im Bett. Die Stadt ist nett, sehr alternativ, aber hat durchaus genug Charme um mich ein paar Tage auszuruhen und die Gassen zu durchstreifen. Auf den ersten Blick scheint es kulinarisch einiges zu bieten. Das ist für meine Radlpause natürlich ideal.
So langsam muss ich mir Gedanken machen was für einen Weg ich nach Mexico City einschlagen möchte. Die Distanzen hier sind sehr weit und ein Schlenker können gerne ein paar hundert Kilometer beanspruchen

Comitán
Comitán
Auch Comitàn
Auch Comitàn
Stillleben bei meiner Unterkunft
Stillleben bei meiner Unterkunft
Das Hochland lässt mein Herz hüpfen
Das Hochland lässt mein Herz hüpfen
Käfer und VW Bullus findet man noch häufig und wurden in Mexico noch lange produziert
Käfer und VW Bullus findet man noch häufig und wurden in Mexico noch lange produziert
Gulasch zum Frühstück
Gulasch zum Frühstück
Dem Fräulein gehts gut
Dem Fräulein gehts gut
Ein hübsches, kleines Bergdorf
Ein hübsches, kleines Bergdorf
Schreinerei mit Blick
Schreinerei mit Blick
Der Herr sprach perfektes Englisch. Er lebte lange in den USA, aber es scheint einen Trend zurück zu geben.
Der Herr sprach perfektes Englisch. Er lebte lange in den USA, aber es scheint einen Trend zurück zu geben.
Diese Bergdörfer...
Diese Bergdörfer...
Und diese Berge
Und diese Berge
Aber auch hier muss der Müll irgendwo bleiben.
Aber auch hier muss der Müll irgendwo bleiben.
Die Zapatisten agieren recht offen.
Die Zapatisten agieren recht offen.
Ich durfte beim Weben zuschauen.
Ich durfte beim Weben zuschauen.
Erste Eindrücke von San Cristobal. Alternativ, ein bisschen touristisch und nett. Ich mag die klare Höhenluft auf 2000m.ü.N
Erste Eindrücke von San Cristobal. Alternativ, ein bisschen touristisch und nett. Ich mag die klare Höhenluft auf 2000m.ü.N