Ein Hügel nach dem anderen reiht sich vor mir auf. Sehen kann ich nur bis zum nächsten, aber meine Navigationsapp zeigt mir auf einigen Kilometern Länge zwar viele Höhenmeter an, aber keine
nennenswerte erreichte Höhe. Ich muss wohl oder übel unbefriedigend, ohne in einen gleichmässigen Tritt zu kommen jeden Buckel abfahren ohne die Belohnung eines Weitblicks oder frischer Bergluft.
Ich hatte mir eine Route ausgesucht die eigentlich keine Nebenstrasse, sondern einer der zwei Hauptverkehrsadern Richtung Mexico ist, aber es war kaum Verkehr und ich sah schon auf der Karte, wie
der Weg sich verschmälerte und halb befürchtete, halb erwartete ich eine unbefestigte Strasse. Aber momentan hatte ich noch Teer unter den Reifen und hoffte, wie sich erwies unbegründet, auch
noch einige Kilometer auf guten Belag. Der endete leider abrupt in eine staubige Schotterpiste mit tiefen Schlaglöchern. Ich stand erstmal mit grossen Augen vor dem Feldweg auf den Lkws,
Mototaxis und Pkws vorbeirumpelten. Da sollte ich also lang, raus aus der bequemen Zone und rein in ein reifenfressendes Staub und Stein Monster.
Ich raffte mich trotzdem auf, wenn auch seufzend. Einfach kann ja jeder zu denken half ein bisschen zur Motivation.
Bei einem liegengebliebenen LKW, der Fahrer stemmte gerade ölverschmiert und wahrscheinlich genauso fatalistisch wie ich die Hände in die Hüften und stand neben seinem aufgebockten Fahrzeug,
blieb ich stehen um zu erfragen wie lange ich noch mit der Rumpelstrasse zu rechnen habe. Acht Minuten hiess es. Ich war nicht ganz sicher ob er mich auf den Arm nahm. Acht Minuten mit was, dem
Auto, dem Pferd, meinem Rad? Ich bin mir ganz sicher, der hat mich verseilt. Der hat schon als ich wegfuhr so frech gegrinst.
Weit war es wirklich nicht mehr und kurz vor Playa Grande ging es wieder schneller vorwärts. Leider nicht lange, da mein rechtes Pedal sich nicht mehr drehen liess. Mit einem schlechten Gefühl im
Bauch steuerte ich die nächste Motorradwerkstatt an. Nach einer Fahrradwerkstatt suchte ich erst gar nicht.
Der Mechaniker wurde anscheinend aus der Siesta gerissen, jedenfalls zog er erst mal ein Tshirt an und blinzelte ein bisschen im gleissenden Nachmittagslicht. Ganz in Ruhe hörte er sich mein
Problem an, schmierte alles ordentlich ab und schickte mich winkend weiter. Das war ja kein Hexenwerk, dachte ich zumindest. Aber zwei Hügelchen weiter ging nichts mehr. Mir kam das Pedal
entgegen. Ich hatte erst einmal keine Ahnung was schief gelaufen war. So einen Schaden hatte ich bisher noch nicht. Die Dinger waren unerhört teuer und ich hatte sie keine drei Monate gefahren
entsprechend ärgerte ich mich und weiterfahren konnte ich so auch keinesfalls . Ich schob also zur Werkstatt zurück und der diesmal vom Esstisch aufgescheuchte Mechaniker und ich standen etwas
ratlos vor dem Fräulein Tu. Seine Diagnose hiess Lager kaputt. Er zeigte mir die Kügelchen. Da war etwas ganz ordentlich schief gegangen mit den teuren Dingern.
Zusammen versuchten wir die Reste des Pedals aus dem Gewinde zu bekommen. Das Ding sass bombenfest und mir gefiel die ganze Sache gar nicht. Ich sah mich schon das Gewinde aufbohren lassen um ein
neues Pedal einzuschweissen. Die Kurbel ist noch einmal unanständig teuer und wäre damit ebenfalls kaputt gewesen. Mir war ein bisschen flau und ich schlief auch entsprechend schlecht. Immerhin
konnten wir für sechs Euro Ersatzpedale auftreiben, die wahrscheinlich ewig halten, allein schon weil ich sie so hässlich finde. Mir ist es ein Rätsel warum man quietscheblaue Pedale herstellt,
aber sie passen und ich komme damit weiter. Fräulein Tu trägt sie erhobenen Hauptes, vielleicht ein bisschen resigniert, hat sie doch wirklich viel auszuhalten.
Zum Radladen war es zu Fuss zu weit und so durfte ich hintendrauf auf einer der Suzukimotorräder, die hier soviel zu sehen sind, mitfahren, ein bisschen bang, aber ganz stolz auf so einem schönen
Ding zu sitzen.
In der Hitze der Stadt verkrochen sich alle in die schattigen Häuser, Hunde bellen nicht und die steinige Strasse glüht verwaist. Immerhin fanden wir einen motivierten Fahrradhändler, der
tatsächlich einiges an Basisteilen vor Ort hatte.
Am nächsten Tag, als ich schon vor der verabredeten Zeit zur Werkstatt getapert kam, etwas aufgeregt wie es denn jetzt weitergeht, war das Problem schon gelöst und die Pedalreste aus dem
Kurbelgewinde befreit. Einfach war es wohl nicht, immerhin hatte er eine Stange als Hebel angeschweisst. Zu zweit haben sie das Teil noch am Abend rausgedreht. Und das ohne irgendetwas kaputt zu
machen.
Ich weiss nicht die wievielte Werkstatt ich besuchen musste seit ich in Lateinamerika bin, aber das Können, oft mit Youtubevideos selbst angeeignet, und der Einfallsreichtum hat mich schon einige
Male verblüfft und mich mit meinem Rad immer wieder auf die Strasse gebracht.
Obwohl ich natürlich wenig begeistert von der unnötigen Reparatur war, dachte ich doch die Pedale halten die nächsten Jahre, hatte ich unwahrscheinliches Glück.
Playa Grande war für die nächsten Tage die einzige Stadt in der so eine Reparatur noch möglich war. Danach wäre es weitaus komplizierter geworden und ich hätte mich auf jeden Fall in die
nächstgrössere Gemeinde fahren lassen müssen. Eigentlich konnte ich mich also freuen in Playa Grande eine Panne gehabt zu haben und so verbuche ich es auch in meinem Reiseerfahrungskonto. Als
eine nicht weiter schlimme Reparatur auf einem langen Weg.
Es konnte also weitergehen.
Ungefähr wusste ich wo wahrscheinlich die schlechtere Strasse begann. Auf meiner App führte der Weg ins Nichts und hörte abrupt auf. Erst beim reinzoomen sah man wieder eine Verbindung bis an die
mexikanische Grenze. Im letzten Dorf vor dem "Streckenabbruch" drückte ich mich herum wie auf dem fünf Meter Turm im Hallenbad. Noch ein Eis und ein Saft, Luft nochmal nachschauen und so weiter.
Ich zögerte die Abfahrt raus, aber irgendwann musste ich ja runter von dem feinen Teer. Es blieb unausweichlich, egal wieviel ich einkaufte und nachguckte. Und je schlechter die Strasse wurde um
so schöner wurde die Landschaft, dachte ich mir. So ist es wenigstens meistens.
Schon kurz darauf wurde die Strasse, ich möchte fast sagen fatal und auch die Steigungen waren nicht ohne. Und tatsächlich, wie ich es erwartet hatte wurde auch die Gegend dünner besiedelt und
der Blick konnte, wenn nicht gerade auf meinen Vorderreifen fixiert, ein bisschen weiter schweifen. Langsam schraubte mich nach oben immer wieder durch kleine Abfahrten unterbrochen bei denen ich
mit schwingenden Satteltaschen den Weg mehr runterklapperte als fuhr. Unter mir breiteten sich die spitzen Hügel aus und auch wenn ich das Rad teilweise Meter für Meter nach oben schieben musste,
lohnten sich die nächsten hundert Kilometer die ich zurückzulegen hatte. Ich kam durch winzige Dörfchen und einsame Bergstrecken. Es war, um ehrlich zu sein, eine ziemliche Schinderei. Dennoch,
ich war nicht zum Gänseblümchen pflücken gekommen sondern um etwas Neues zu sehen. Wobei ja durchaus nichts gegen einen Tag in einer Gänseblümchenwiese einzuwenden ist. Müsste ich mich
entscheiden, ich würde die Route trotzdem noch einmal fahren, oder besser schieben.
Etwa in der Mitte der Strecke öffnete sich eine kleine Hochebene und ich konnte ein bisschen Geschwindigkeit aufnehmen Obwohl sich ansonsten auf jedem ebenen Fleckchen Menschen angesiedelt
hatten, oft verstand ich gar nicht woher sie kamen oder wohin sie gingen, huschten mal wieder ganze Familien ins Gebüsch. Irgendwo mussten sich Pfade verstecken, die ich im vorbeifahren niemals
entdeckte. Auf der Ebene jedoch herrschte fast gespenstische Ruhe. Niemand war zu sehen, keine Häuser standen in den Wiesen, nur ein paar Rinder käuten träge wider. Und daneben, auf einer
Kiesfläche stehen ausgebrannte Baumaschinen und Glasfaserrohre mit fast mannshohem Durchmesser, alles verlassen und kaputt. Ein Strommast liegt umgeflext auf der Seite. Es ist offensichtlich dass
hier etwas nicht stimmt. Wie immer bei solchen eher undurchsichtigen Situationen ziehe ich es erst einmal vor nichts zu sehen und nichts zu hören. Manchmal weiss ich lieber nicht zuviel. Und so
trete ich, selbst ganz still geworden durch die verwaiste Landschaft
Später, bei einer Pause in einem betörend friedlichen Häuschen mit kleinem Laden erfahre ich was es mit den Maschinen auf sich hat. Es wurde geplant die nahgelegenen Flüsse aufzustauen und
Wasserkraftwerke zu bauen. Die Anwohner wehrten sich dagegen, hätte es doch ihre gesamten Lebensumstände geändert. Indem sie die Arbeiten sabotierten, die Maschinen und Rohre anzündeten und Sand
in die Tanks schütteten hatten die Anwohner eine effektive und einfache Möglichkeit genutzt sich bis auf weiteres vor dem Bauvorhaben zu schützen. Die Pläne wurden jedoch nicht aufgehoben,
sondern nur ein Baustop erwirkt. Auch das mag ein Grund sein weswegen der Weg so schlecht ist, denn auch für den Ausbau der Strasse liegen Pläne in den Schubladen.Die Anwohner ziehen ihre
Schotterpiste dem Asphalt jedoch vor. Damit erschwert sich zwar die Anbindung an grössere Städte, aber dafür bleibt auch ein gewisser Schutz vor der Ausbeutung ihrer Ressourcen bestehen. Trotzdem
erscheint Guatemala auf den ersten Blick nicht sonderlich politisch. Vielmehr scheint sich mehr um das Religiöse zu drehen. Egal wie klein auch die Gemeinde sein mag, überall sehe ich Kirchen,
oft neugebaut oder im Rohbau. Häufig finden sich die Zeugen Jehovas oder evangelikale Gotteshäuser. Ich verstehe nicht genau warum in dieser abgelegenen Gegend so viele religiöse Einrichtungen
versammelt sind und stehe dem skeptisch Gegenüber. Wahrscheinlich verstehe ich vieles wieder nicht und sehe nur die Ausbeutung, aber nicht die Stabilisierung der Gesellschaft durch Zusammenkünfte
und Gemeinschaftsarbeiten.
Zwei Tage brauche ich für die Strecke und das obwohl ich an einem besonders steilen Stück von einem ambulanten Medikamentenhändler in seinem scheppernden Pickup mitgenommen wurde. Ein paar
Kilometer später hatte mich die Zivilisation wieder. Es ist schwer die zwei Tage nur mit Buchstaben zu beschreiben. Vielleicht bin ich ein kleines bisschen am wachsen, mit meinen selbstgestellten
Aufgaben. Asphalt, Duschen, leckeres Essen und Ruhe sind unfassbar tolle zivilisatorische Errungenschaften. Das wusste ich auch davor, es wirklich zu spüren und es zu vermissen ist für mich noch
einmal etwas anderes. Ich bin froh meinen Ebook-reader und meine Musik zu haben und damit ein kleines bisschen Europa in den Taschen zu haben. Meinen Stallgeruch werde ich nicht los. Ich fühle
mich als Europäerin und in den meisten Gegenden dieser Welt werde ich immer Gast bleiben. Aber ich will es nicht missen Gast sein zu dürfen. Es ist ein wunderbares Privileg.
Ab Cholucana, von dem mir auf dem Weg berichtet wurde es sei eine halbe Stunde, einen Tag oder auch drei Stunden mit dem Pferd entfernt, läuft das Rad wie von selbst die letzten Kilometer bis ich
mir einen Schlafplatz suche. Es ist mild und die Gegend karg und hügelig. Ein bisschen fühle ich mich wie in Italien. Das stachelige Kraut riecht würzig und seit langem mal wieder stehe ich unter
einem weiten Sternenhimmel. Mein Zelt steht geschützt und ich atme tief durch bevor ich ziemlich selig und kaputt einschlafe.
Die Grenze nach Mexico ist nicht mehr weit, nur die Höhenmeter sind noch knackig und in Gracias a dios, einem wild wuchernden Grenzstädtchen mit ambulanten Händlern, Ständen mit billigem
China-Ramsch und fettbrutzelnden Essensständen erschlägt mich schon um sieben Uhr morgens das hupende Gewusel dermassen, dass ich an der Grenzstation einfach vorbeirausche und den Berg wieder
zurückkeuchen muss um meine Ausreisestempel aus Guatemala in den Pass zu bekommen.
Ich hatte ein bisschen Bedenken ob alles klappt. Am Tag davor, mitten im Nichts, auf einem extrem steilen Wegstück hatte ich Barbara und Robert getroffen, zwei Deutsche die seit drei Jahren mit
ihren Motorrädern die Welt bereisen. Wir freuten uns ein bisschen zu quatschen und Infos auszutauschen, wobei wir den ganzen Weg blockierten und befremdliche Blicke der Anwohner ernteten. Es war
wirklich schade beide an so einem ungünstigen Platz zu treffen. Gerne hätte ich mehr von ihnen erzählt bekommen, wie sie mit schwierigen Zeiten umgehen und was sie bewogen hat so lange zu reisen.
Aber wer weiss, ob wir uns nicht msl wieder irgendwo über den Weg laufen. Ich würde mich freuen.
Die zwei, die auch hier zu finden sind: ride2seetheworld.de, hatten gehört an dem kleinen Grenzübergang seien keine Stempel zu bekommen, was einen Umweg von etwa 200km und so einige Höhenmeter
für mich bedeutet hätte. Umso erleichterter war ich das Klicken des Stempels zu hören und ich flitzte schnell runter an die mexikanische Grenzstation um mir meinen mexikanischen Einreisestempel
abzuholen. Das Auswärtige Amt in Deutschland hatte bis vor kurzem auf ihrer Website bekanntgegeben eine Einreise nach Mexico sei nur per Flugzeug möglich. Mir war also etwas mulmig als ich
in Hab Acht Stellung vor dem Zollbeamten stand. Der drückte mir nach der etwas unverschämten Zahlung von 30 Dollar meinen Pass in die Hand und schickte mich blinzelnd raus ins Sonnenlicht. Nicht
einmal die streng einzuhaltende Einreisebescheinigung musste ich ausfüllen, geschweige denn irgendwelche Covid Tests oder Impfungen. Da bis um zehn Uhr keine Internetverbindung besteht, wurde ich
ganz unkompliziert durchgewunken und stand somit frisch gestempelt vorm Grenzhäuschen und freute mich.
Um es wenigstens noch ein bisschen spannend zu gestalten musste ich nochmal zurück über die Grenze nach Guatemala, diesmal im Tuc Tuc, um meine letzten Quetzales in Pesos zu wechseln um dann ohne
Umweg das nächste Frühstücksrestaurant anzusteuern. Mir trieb es fast Tränen in die Augen, allerdings eher wegen der schärfe der Guacamole um dann glücklich alles in mich reinschaufeln was mir
serviert wurde. Ein bisschen Koriander, Limette, Tomate und Zwiebel macht aus langweiligen Tortillas ein ordentliches Frühstück. Es ist so einfach.
Mit vollem Bauch rollte ich, Musik im Ohr und laut singend durch lichte Pinienwälder die in der harten Höhensonne dufteten und vor Comitan schwebte ich durch die sandige Hochebene von Chiapas.
Fast konnte ich mit den Fingerspitzen den Himmel berühren. Mexico.
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